von ~Cassiopeia~
Hallo meine Lieben!
Nachdem ich für dieses Kapitel einige Versuche gebraucht habe, habe ich es heute endlich fertig stellen können. Endlich! Ich bin unendlich erleichtert und zugleich etwas traurig, dass nun wirklich nur noch der Epilog kommen wird. Dann ist Jagay vorbei, endgültig.
Ich hoffe, ihr verzeiht mir die lange Wartezeit und bleibt auch noch bis zum Epilog bei mir. Ich bin sehr dankbar für all die sichtbaren und unsichtbaren Leser, die diese Story durch die Jahre und ihre Entwicklung begleitet haben.
Ein riesiges Dankeschön an Euch,
Alles Liebe,
Eure Cas
59. Am Ende bleibt die Hoffnung
Dem Chaos der Schlacht folgte eine unbeschreibliche Ohnmacht der Hilflosigkeit. Verletzte wurden geborgen und in den Krankensaal gebracht, wo ihre Wunden so gut es ging versorgt wurden. Hilfe aus dem St. Mungos Hospital musste per Post angefordert werden, denn Magie war nicht möglich.
Mit dem Absturz der beiden Boten und dem Zusammenbruch der Magie waren auch die Schutzzauber in und um Hogwarts außer Kraft gesetzt, was die Versorgung nun nach dem Kampf erheblich erschwerte. Auf solch einen Fall war niemand vorbereitet gewesen. Zauberstäbe waren nun nutzlos geworden, die Portraits waren erstarrt und selbst die Hauselfen konnten nicht mehr innerhalb des Schlosses apparieren. Die Treppen waren mitten in ihrer kontinuierlichen Bewegung stehen geblieben, sofern sie nicht teilweise ganz zerstört worden waren.
Überall lagen Trümmer aus Steinen, Mauerwerk und Glassplittern. Es würde lange dauern, dies wieder aufzubauen und es war nur möglich, wenn auch die Magie wieder zurück kehrte. Doch wann dies der Fall sein würde, wusste niemand. Vielleicht niemals mehr. Dann wäre Hogwarts genau dies, was die Muggelabwehrzauber seit jeher zeigten: eine verlassene Ruine.
Doch nicht nur zersprengte Mauerreste lagen herum. Diejenigen, die den Kampf nicht überlebt hatten, mussten mühsam geborgen und identifiziert werden. Oft war dies jedoch nur anhand der Kleidung möglich, wenn die Opfer ins Feuer gelangt waren oder anderweitig so entstellt waren, dass nun nicht die Ruhe dazu da war, jeden einzelnen mit Namen zu benennen. Die Liste würde erst im Laufe des Tages fertig gestellt werden.
Die Toten wurden in einem Extraraum gebracht, da niemand sie einfach draußen liegen lassen wollte. Dort, wo sie niemandem im Weg lagen und später in aller Ruhe identifiziert werden konnten. Erst dann würde dieser auch für die Familien zugänglich gemacht werden, wenn das Chaos einigermaßen behoben war. Doch noch wurden zu viele neue Tote - egal, welcher Seite sie angehört haben mochten - herein gebracht und einjeder unter einem Leinentuch bedeckt.
Amanda Johnson, die jüngere Schwester von Angelina lag dort. Ebenso wie der stets so tapfere Colin Creevy und sein jüngerer Bruder Dennis. Oder der kleine Professor Flitwick, der immer so fröhlich gewesen war.
Immer mehr leblose Körper kamen dazu, was den Schrecken dieser Nacht nur um so deutlicher werden ließ.
Es war erstaunlicherweise der Blutige Baron, der wohl das erste Mal mit ernster Miene auftrat und geflissentlich über die Toten wachte. Er selbst hatte einst in großen Schlachten gekämpft und wollte nun geistigen Beistand spenden, wie er es nannte - es war wohl ebenfalls das erste Mal, dass die Bewohner des Schlosses ihm wirklich dankbar waren, dass er da war.
Auf der Krankenstation sah es ähnlich aus, auch hier hatten nur Madam Pomfrey und die ihr unterstellten Helfer Zugang, da es sonst kein Durchkommen mehr gegeben hätte.
Die Schmerztränke gingen rapide zur Neige, doch die Eulen, die ausgeschickt worden waren um Nachschub zu holen, würden ihre Zeit brauchen. Es war weit bis London, vor dem Abend würde es keine neuen Tränke geben, welche die bis dahin längst Aufgebrauchten aufstocken konnten. Sofern nicht bis dahin ein Apparierpunkt gefunden worden war, von welchem aus Nachschub geholt werden konnte. Doch auch dies war, wie so vieles, ungewiss.
„Platz da! Platz für die Schulleiterin!“, grollte auf einmal eine Stimme, nach der sich alle erschrocken umsahen. Hagrid, der kaum mehr als ein paar Schrammen dank seines Riesenblutes abbekommen hatte, trug eine bewusstlose Minerva McGonagall in seinen Armen, als sei sie ein kleines Kind. Um die Aufregung rund herum kümmerte er sich nicht, zielstrebig bahnte er sich seinen Weg und legte den zerbrechlich wirkenden Körper auf eines der Betten, welches ein Glück noch frei war.
„Sie lag unter den Trümmern, also hab` ich sie da `raus geholt“, erklärte er und wirkte sehr erschüttert. Denn ohne Magie konnten auch keine Knochenbrüche geheilt werden. Und von diesen hatte die Schulleiterin ganz offensichtlich mehrere.
Erschrocken sah Madam Pomfrey die Schulleiterin an. Doch dann erwachte wieder die Heilerin in ihr, die nun das erste Mal nach vielen, vielen Jahren einfacher Schulmedizin konnte ihr Wissen unter Beweis stellen konnte. Einige Siebtklässer und Hauselfen halfen ihr und beeilten sich, zu ihr zu treten.
„Hol mir den Schmerztrank in der bauchigen, dunklen Flasche!“, sagte sie zu einem dunkelhaarigen Mädchen, welches nickte und kurz darauf eine Phiole in der Hand hielt, die sie der Heilerin übergab.
„Oh und ich brauche Umschläge für ihren Körper, die beim Trocknen möglichst fest werden. Und bringt mir Silberweidenpaste und einen Ballonblumenaufguss!“
Sie entkorkte die Phiole und benetzte einen Finger mit dem Trank, ein Schmerz- und Beruhigungstrank. Vermutlich einer der letzten der Reserve, doch der musste für die Schulleiterin sein. Vorsicht führte sie den Finger zu den Lippen Minervas, träufelte dann einige Tropfen in ihren Mund. Die Bewusstlosigkeit wollte sie noch nicht aufwecken, vermutlich war dies ein reiner Schutzmechanismus des Körpers, um den Schmerzen zu entgehen.
Wie durch ein Wunder schien sie keine Kopfverletzung davon getragen zu haben, wie Madam Pomfrey erleichtert fest stellte. Die Knochenbrüche würden heilen, wenn erst einmal Heiler hier eingetroffen waren. Zur Not würden sie irgendwie Muggelheiler herrufen müssen, auch wenn sie keine Ahnung hatte, wie sie das bewerkstelligen sollten. Hogwarts war schließlich vollkommen von der Außenwelt abgeschnitten, nicht einmal die Kamine hatten noch magische Kraft, somit half auch kein Flohpulver.
Schon bald wurde Hagrid wieder hinaus gerufen - er war nunmehr der einzige, der die Trümmer wirklich beseitigen konnte. Mit seinen immensen Kräften und seiner Größe rettete er so manchen Schüler, Auroren oder Lehrer, doch wenn sie zu lange von der Magie abgeschnitten waren, wäre diese Hilfe umsonst gewesen.
Ein paar ältere Schüler hatten sich ins Dorf aufgemacht, kamen aber eine Stunde später vollkommen erschüttert wieder zurück.
„Sie haben Hogsmeade abgebrannt, sodass wir wirklich abgeschnitten sind von jeder Hilfe. Die Leute dort konnten wohl noch rechtzeitig fliehen… oder sind jetzt hier unter den Mitkämpfern“, erklärte Neville, der nur eine leichte Verletzung am Oberarm erlitten hatte und blickte besorgt zum Schloss und zum noch immer brennenden Wald.
Also mussten sie tun, was sie konnten, gefangen in einem Schloss in den Schottischen Highlands. Und sie alle gaben ihr Bestes bis darüber hinaus. Es würde dauern, bis die ersten Medikamente, vielleicht sogar mit gereiste Heiler, hier eintreffen würden. Bis dahin waren sie auf sich gestellt.
Davon ließ sich aber niemand entmutigen. Es war wiederum Hagrid, den man beauftragte, einen der alten Drachenkäfige zu holen und mit der Hilfe von zehn weiteren Männern schaffte er es. Dort hinein wurden die Todesser gesperrt, deren einzige Gefahr nun in der Flucht bestand, einfach in den Wald zu laufen. Denn auch, wenn dieser nach wie vor brannte, hatten einige es bereits versucht.
Die Auroren hatten nun alle Hände voll zu tun: wie sollten sie die Gefangenen zum Verhör ins Ministerium überweisen, wenn Apparieren unmöglich war? Hier hatte Harry eine Idee: Wer sich traute, auf Thestralen zu fliegen, sollte so die Gegend erkunden, bis ihm ein Zauber gelang. Die Stelle würde dann markiert werden und als Apparierpunkt gelten. Denn eine ebenfalls traurige Folge des Kampfes war, dass nun einige Leute mehr in der Lage waren, die Thestrale zu sehen als zuvor.
Einige wenige wurden ganz fort geschickt: sie sollten im St. Mungo's Hospital und im Ministerium Bescheid sagen, was vorgefallen war und die Lage schildern.
„Nein! NEIN! NICHT MEIN JUNGE!“, hallte auf einmal eine laute Stimme voller Zorn und Schmerz durch die Halle und Arthur Weasley stürmte auf zwei Leute zu, die ein weiteres Opfer in die Totenhalle brachten: Fred Weasley. Entsetzt hielten die Umstehen die Luft an, als Arthur der jungen Nymphadora Tonks den leblosen Körper seines Sohnes förmlich entriss, ihn an sich nahm und vorsichtig auf eine Steinbank legte. Fassungslos kniete er sich davor, bald umringt von seiner Frau, Ron und George, die entsetzt auf das blasse Gesicht ihres Sohnes und Bruders blickten.
Kraftlos sank auch George in die Knie und nur, wer genau hin hörte, verstand die Worte, die seine Lippen verließen: Freds Namen, immer wieder seinen Namen.
* * *
Auch Draco und Ginny waren noch nicht wieder bei Bewusstsein. Sie lagen auf der Krankenstation in zwei Betten neben einander und doch wachten sie nicht auf. Dabei waren doch gerade sie es, die vielleicht die Antworten kannten.
Sie waren es gewesen, die das Schicksal gewendet hatten.
Sie waren doch die Engel gewesen, die die Magie absorbiert hatten!
Konnten sie sie auch wieder zurück bringen?
* * *
Zum Abend hin hatten die Hauselfen es irgendwie geschafft, ein Mahl in der Großen Halle aufzutragen. All jene, die wieder halbwegs auf den Beinen waren, versammelten sich um zusammen zu essen. Die gröbsten Trümmer hatte man fort geschafft, die Tische zusammen gestellt, sodass eine gemeinsame Tafel entstand. Die Hausbanner waren schwarz, da auch auf sie die Magie nicht mehr wirkte, doch dieses Schwarz passte wie kein anderes Symbol zu diesem Tag, der so viel Leid hervor gebracht hatte.
Alle blickten traurig zu dem verwaisten Pult hinauf, hinter welchem die Schulleiterin stets gestanden hatte. Letztes Jahr war dies noch Dumbledores Platz gewesen. Nun bangten sie alle um Minervas Leben.
Es war Harry selbst, der sich schließlich erhob. Er hatte einige Schnitte und Wunden erlitten, humpelte und trug einen Arm in der Schlinge, einen Verband um den Kopf, der eine Wunde an der Schläfe bedeckte. Doch er lebte und dieses Leben spiegelte sich in seinen grünen Augen um so deutlicher wider, als er nun seinen Blick in die Runde schweifen ließ.
Er räusperte sich kurz, ehe er begann zu sprechen und sofort senkte sich Stille über die Anwesenden.
„Diese Nacht… war eine grausame Nacht. Sie hat aufgezeigt, welch Abgründe sich hinter Hass und Unverständnis verbergen. Und mit welcher Gewalt diese Abgründe auf einander stürzen. Auf beiden Seiten.“
Er machte eine kurze Pause, stützte sich leicht am Tisch ab. Doch er blieb stehen, während Hermine, die neben ihm saß, ihre Hand auf die ihres Freundes legte.
„Wir alle haben heute Nacht den Zauberstab gegen einen Gegner gerichtet. Vielleicht haben wir sogar getötet. Und wir wurden getötet, wurden getroffen von einer Welle aus Hass und Wut und Gewalt. Eine Welle, die sich über Jahre hinweg aufgetürmt hat und heute auf uns nieder schlug. Denn auch, wenn wir sie zurück schlagen konnten, so ist dieser Sieg teuer erkauft mit dem Leben unserer Freunde, Brüder und Schwestern. Lasst uns die Gläser erheben in Gedenken an jene, die heute Abend nicht hier sein werden, die ihren letzten Atemzug gaben, um uns zu verteidigen.“
Stumm hob er sein Glas und alle Anwesenden taten es ihm nach, ob gefüllt oder nicht. Nicht wenige weinten oder hatten die Augen ganz geschlossen und alle waren in Gedanken bei jenen Menschen, die niemals mehr aufwachen würden.
„Die Zeit wird zeigen, wie groß unser Sieg wirklich ist. Sie wird Trauer und Schmerz bringen, Tränen und Leere. Und sie wird sie wieder verblassen lassen. Aber eines ist gewiss: dieses Mal ist es wirklich vorbei. Doch wir - wir leben weiter und dies mit unendlichem Stolz auf jene, die dieses Wunder bewirkt haben.“
Die Geister stimmten einen Chor an; nicht schauerlich, wie befürchtet, sondern ernst und gefühlvoll. Respektvoll sangen sie über Leben und Tod, das Überschreiten der ewigen Grenze, von der es kein Zurück mehr gab und als sie endeten, herrschte ehrfurchtsvolles Schweigen.
Wieder wurden die Gläser erhoben und alle sahen für einen kurzen Moment zu dem symbolischen Gedeck, aufgestellt für die Gefallenen. Denn auch sie waren hier in ihrer Mitte, in ihren Herzen und würden es für immer sein.
* * *
Als Draco erwachte, spürte er ein dumpfes Dröhnen im Kopf. Es Pochte und als er schwerfällig seine Hand erhob, fühlte er einen Kopfverband. „Nicht schon wieder“, murmelte er, die letzte Kopfverletzung war schon genug und zu folgenreich gewesen. Die Augen behielt er geschlossen, wozu sollte er sie auch öffnen. Er sah ja doch nichts.
Angestrengt versuchte er, die Bilder in seinem Kopf zu ordnen. Schreie, Blut, Tote. Und Ginny, immer wieder Ginny. Eine dunkle Gestalt aus brennendem Feuer mit lodernden Schwingen… ihn schauderte. Der schwarze Engel aus seinen Träumen war Wirklichkeit geworden. Ginny war sein Engel geworden.
Doch dann kam langsam die Erinnerung zurück, die Bilder wurden deutlicher. Er sah den brennenden Wald, die fallenden Zentauren. Sah, wie einige Thestrale herabstürzten und sich der Todesser annahmen, wie einzelne Patroni versuchten, die eisige Dunkelheit zu vertreiben. Waren etwa auch Dementoren da gewesen?
Und wieder sah er Ginny vor sich, ihr brennendes Haar, das Gesicht vor Anstrengung verzerrt im Versuch, Voldemorts Magie in sich aufzunehmen. Er selbst hatte als Schutzschild fungiert, doch wenn die Magie einmal derart aus dem Gleichgewicht geraten war, würde es nicht lange dauern und sie würde ganz zusammen fallen. Sie mussten schnell sein.
Und sie waren schnell gewesen. Potter, von seinen Eltern und seinem Paten unterstützt, handelte schnell und richtig. Er tötete den Mann, der für das Ungleichgewicht der Magie und für das Leid unzähliger Menschen verantwortlich war innerhalb einer Sekunde.
Dann war es vorbei, ihre Kräfte verbraucht und die Magie kollabierte in einem gleißenden Blitz. Dann war da nichts mehr.
Nun war er also hier… wo auch immer hier war. Er lag in einem Bett, vermutlich die Krankenstation. Unwillkürlich blinzelte er nun doch und hielt dann die Luft an, als sein Herz einen Schlag auszusetzen drohte.
„Bei Licht und Dunkel…“, murmelte er und blinzelte erneut. Doch das Bild blieb - er sah wieder.
Alles.
Den Raum um sich herum, die Menschen. Die Farben. Licht und Schatten. Konturen, Bilder, Formen. Endlich hatte die Welt um ihn herum wieder ein Gesicht, endlich wurde es wieder greifbar, wurde es wieder ganz.
In seiner Begeisterung vergaß er, dass er eigentlich rasende Kopfschmerzen hatte und dass er sich schonen sollte. Er setzte sich weiter auf und verließ kurzerhand das Bett. Nun, wo er wieder sehen konnte, wollte er sich selbst ein Bild machen, was hier letzte Nacht wirklich geschehen war.
Der Trubel um die vielen Kranken, die nach wie vor magielos versorgt werden mussten, hielt noch an, sodass ihn niemand aufhielt, als er, in verdreckten und zerrissenen Sachen mit einem Verband um den Kopf, den Krankensaal verließ. Ginny war nicht hier und er konnte sie auch nicht mehr spüren, wie er sie vorher immer gespürt hatte. Etwas musste geschehen sein und das Bett neben ihm war leer gewesen, etwas, dass ihn zutiefst beunruhigte.
Ginny, er musste sie finden. Sie musste irgendwo im Schloss sein, vielleicht war sie verschüttet, vielleicht sogar -
Nicht denken, Draco, weiter gehen!, hallte eine Stimme in ihm wider, die ihn dazu brachte, einen Fuß vor den anderen zu setzen, obwohl seine Muskeln vor Anstrengung zitterten. Es war dunkel, hatte er etwa den ganzen Tag geschlafen? Doch nun stand draußen der erste Mond nach Vollmond, der das grausige Feld des Kampfes matt erhellte. Der harte Schatten zeichnete und die Welt schwarz-weiß färbte, ihr jede Farbe nahm, nach der Draco sich so sehr sehnte.
„Ginny?!“, rief er schließlich in seiner Verzweiflung, wieso sah er niemanden ihrer Freunde? Potter, Weasley, Granger? Sie mussten doch irgendwo sein! Doch draußen arbeiteten nur wenige, so kehrte auch er wieder um und lief zurück ins Schloss.
Licht umhüllte ihn, Farben und Stimmen und er hätte gern inne gehalten, im die Farben zu betrachten, die ihm so lange verwehrt gewesen waren. Doch ihn zog es weiter, die reglosen Treppen hinauf. Wenn sie dort nicht war, gab es nur einen weiteren Ort, an dem er nachsehen musste.
Die Stufen des Astronomieturmes waren teilweise eingebrochen, offenbar hatte selbst hier der Kampf getobt. Doch dafür hatte Draco nun keinen Blick; seine Augen lagen auf den roten Haaren, die im Wind wehten und der zitternden Gestalt, die offenbar fror und einsam dort stand und in die Nacht hinaus sah. Hier, wo die Boten sich das erste Mal vollends offenbart hatten. Hier, wo alles angefangen hatte.
Für einen Augenblick war Draco wie gebannt von dem Anblick und war versucht, jedes einzelne ihrer Haare zu berühren. Vorsichtig trat er etwas näher, unsicher beinahe.
Würde sie ihn überhaupt noch kennen? Als den Draco, der er bis vor wenige Stunden noch gewesen war?
Würde sie ihn noch lieben? Nicht mehr Isa und Lenos, sondern nur sie beide, Ginny und Draco. Draco und Ginny. Nur sie beide.
Er öffnete den Mund und schloss ihn wieder, ihm wollten einfach keine Worte einfallen. Fast überlegte er bereits wieder, ob er nicht besser gehen und sie in Ruhe lassen sollte, als sie sich umdrehte.
Tiefer Schmerz stand in ihren Augen geschrieben und eine Schuld und Verzweiflung, dass Draco jedes Denken einstellte. Wortlos ging er auf sie zu und umarmte sie, hielt sie fest und ließ sie einfach weinen. Teilte ihren Schmerz, für den es keine Worte gab.
„Es ist… ist nicht fair“, flüsterte sie schließlich und Draco meinte, ihren Schmerz selbst körperlich zu spüren.
„Nein, das ist es nicht“, antwortete er nach einer Weile leise. Er hatte sich ihr Wiedersehen so schön ausgemalt und jetzt schien alles in sich zusammen gefallen zu sein.
Dennoch war er bei ihr und hielt sie fest, ein kostbarer Moment.
„Sie… sie sind fort, oder?“ Wieder war ihre Stimme nur ein Wispern, kraftlos und voll Trauer. Und wieder wusste Draco kaum etwas zu sagen; es war, als seien Worte überflüssig in einer Zeit, die so dunkel und schwarz, voller Schmerz und Tod war.
Dennoch nickte er schließlich. „Ja, das sind sie. Jetzt sind wir wieder ganz wir selbst.“
Erstaunt sah sie ihn an, die Augen leicht gerötet, der Blick etwas verschwommen.
„Glaubst du das wirklich?“ Vier Worte und doch sagten sie so viel aus.
Draco besann sich und schüttelte den Kopf. „Nein. Nein, nichts wird mehr so sein wie früher. Nicht nach dieser Nacht. Die Boten haben uns verändert. Zu einem hohen Preis. Aber nun… nun habe ich mein Augenlicht wieder und das ist im Moment das Wertvollste, was ich besitze.“ Er betrachtete sie ganz genau, ihre Augen, der Bogen ihrer Brauen, ihre Wangenknochen. Und ihre Lippen, jene Lippen, die er sehnsuchtsvoll geküsst hatte.
„Aber…“ Ginnys Stimme stockte, sie schluckte und musste sich erst wieder sammeln, ehe sie weiter sprechen konnte. „Aber… etwas muss doch geblieben sein. Es war doch nicht… nicht alles umsonst…“ Wieder waren da Tränen, Freds Tod musste doch einen Sinn gehabt haben. Warum hatten die Schwestern ihn einfach aus ihrer Mitte gerissen, hatten George seinen Zwilling genommen?
Dieses Mal war Dracos Kopfschütteln etwas energischer. „Es war nicht umsonst, nichts davon. Es war furchtbar. Es war grausam. Es ist unendlich schmerzhaft. Aber nicht umsonst.“
Und ich liebe dich, dachte er, schaffte es aber nicht, es auszusprechen. Hatte Angst, dass auch dieses wertvolle Gefühl in tausend Teile gerissen würde, wenn diese Worte seinen Mund verließen.
„Lass… lass mich nicht los“, bat Ginny mit zitternder Stimme und hielt sich an ihm fest. Die Nachricht, dass er wieder sehen konnte, war gar nicht bewusst zu ihr durchgedrungen. „Lass mich nie mehr allein, Draco. Nie mehr.“
Ein leichtes Lächeln legte sich auf seine Züge, behutsam legte er die Arme um die aufgelöste und zitternde Ginny, die er sich schwor, nie mehr los zu lassen. Weder aus seinen Armen, noch aus seinem Herzen.
* * *
Nachdenklich ging Harry durch die Flure Hogwarts`. Die Thestrale waren zurück gekehrt, knapp 300 Kilometer weit war der magielose Bereich, dessen Zentrum Hogwarts bildete. Für wie lange dies der Fall sein würde, wusste jedoch niemand.
Er hatte es wirklich geschafft. Hatte den Mann ohne Gewissen und Reue, den Mann, der ihm alles genommen hatte, besiegt. Und - für Harry das Wichtigste - er war nicht allein gewesen.
Dass seine Eltern zurück gekehrt waren, erschien ihm jeden Tag aufs Neue wie ein Wunder. Dass Hermine an seiner Seite stand, ihn liebte - mehr noch, dass auch er endlich bereit war, sie zu lieben aus tiefstem Herzen - war ein weiteres Wunder.
Er erinnerte sich an die Nacht, als die drei Schwester zu ihm gekommen waren und Skuld ihm die Zukunft gezeigt hatte. Eine mögliche Zukunft, gewiss. Und eine Zukunft, in welcher nicht Ginny an seiner Seite gestanden hatte, etwas, was ihm damals schier undenkbar erschienen war.
Heute wusste er, was die Schwester der Zukunft ihm hatte zeigen wollen. Er hatte gelernt, los zu lassen von dem, was war. Von dem, was ihm all die Jahre über Sicherheit versprochen hatte und was nach und nach zerbrochen war. Bis er selbst zerbrach.
Es war zu viel gewesen, zu viel, was sie ihm aufgebürdet hatten. Er hatte doch nur ein ganz normaler Junge sein wollen. Es hatte ihn zerfressen und zermürbt, bis er nur noch als leblose Hülle im Bett gelegen hatte, ohne jeden Lebensmut.
So hatten die Schwestern selbst die Puzzleteile wieder zusammen gesetzt - und es hatte gewirkt. Harry Potter war wieder da. Und er lebte, fühlte sich lebendiger denn je. Er war durch die Hölle gegangen und gestärkt zurück gekehrt und spätestens nach dieser Nacht wusste er, was es bedeutete, am Leben zu sein. Ein Überlebender zu sein. Doch er war kein kleiner Junge mehr. Er war erwachsen geworden.
Über diesen Gedanken lächelnd betrat er den alten Klassenraum und wunderte sich im nächsten Moment, warum er eigentlich hier war. Bewusst hatte er diesen Weg bestimmt nicht eingeschlagen. Irritiert sah er sich um und bemerkte Remus, Sirius, James, Lily und auch Hermine, die nun zu ihm sahen. Und drei Frauen, die von Innen zu leuchten schienen und ihm beinahe dankbar zulächelten.
Im nächsten Moment rannte Hermine auf ihn zu, strahlte ihn an und küsste ihn liebevoll. Harry war es für einen kurzen Moment ein wenig peinlich, dies vor seinen Eltern zu tun, doch dann lächelte er glücklich und erwiderte den Kuss nicht minder liebevoll. Ein kleiner Lichtblick in all dem Leid um sie herum. Ein kleiner Funken, der das Dunkel vertrieb und Hoffnung hieß.
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