
von S_ACD
Sorrysorrysorry! Uhm... hallo?
Liest das hier noch irgendjemand?
Haha, gerade musste ich feststellen, dass meine Mutter doch recht hat mit ihren ewigen VorwĂĽrfen, ich wĂĽrde "schlampig" mit meinem Geld umgehen.
Hab nämlich meinen alten Rucksack ausgeräumt und dabei einen kompletten Monatslohn gefunden.
Noch von den letzten Sommerferien... O_o ...creepy...
Was soll's. Jetzt hab ich wenigstens wieder Geld. =D
~-~-~-~
„Was…“, flüstere ich, „Was zum Teufel macht der hier?!“
Das bringt mir drei überraschte Blicke ein. (Und ein belustigtes Schnauben hinter meinem Rücken – der erste und eindeutige Beweis dafür, dass dieser Traian sehr wohl unsere Sprache spricht.)
„Quoi?“, Tomas zieht eine Augenbraue hoch, „Das ist die Typ, von die wir geredet ’aben. Ihr wisst schon… die Sponsor.“
„Ähh…“, macht George nicht besonders intelligent, „Ihr… das da? Du willst uns allen ernstes weismachen, dass der Kerl…?“
Lance nickt schon wieder. Eines Tages wird sich der Typ noch einen Nackenmuskel oder so was zerren.
„Klar. Der kommt aus England, äh und er… na ja, ist verdammt reich und erfolgreich und… also, ihr kriegt das Bild?“
„Ja“, murmeln wir gleichzeitig und zugegebenermaßen alles andere als begeistert, „Total.“
Der andere Belgier mustert uns neugierig.
„Est-ce que vous lui connaissez?“
„Öhh…“
Schön, unsere Schwägerin ist Französin und ein paar Brocken verstehen wir durchaus, aber das heißt noch lange nicht-
„Er versteht, aber spricht nischt besonders gut“, erklärt Tomas, „Will wissen, ob ihr die Mann kennt?“
„Na ja“, George reibt sich den Hinterkopf, „Also, kennen ist etwas übertrieben.“
„Formulieren wir’s mal so, wir wissen wer das ist“, ergänze ich.
„Wünschte, wir wüssten es nicht“, murmelt mein Zwillingsbruder in seinen nicht vorhandenen Bart.
„Was?“, flüstert Lance, „Aber warum denn ni- Uahh!“
Die offene Tür, durch deren Spalt wir gelinst haben, gibt nach, weil der Kerl sich offenbar zu stark dagegen gelehnt hat und er segelt äußerst unelegant mit den Armen rudernd auf den Flur hinaus, wo er eine noch unelegantere Landung hinlegt.
Der Rest von uns steht einigermaßen belämmert im Türrahmen und lässt sich von Ophelia und ihrem steinreichen Gesprächspartner entgeistert anstarren.
Hinter meinem RĂĽcken lacht es leise und aus den Augenwinkeln sehe ich, wie Traian grinsend seine Zeitung zusammenfaltet.
Wir setzen allesamt ein peinlich berührtes Lächeln auf, während der große Morris D. Fleury George und mich anstarrt, als wären wir eine Erscheinung.
Eine Erscheinung, ĂĽber die er ganz offensichtlich nicht im Geringsten erfreut ist.
Der verdutzt-fassungslose Gesichtsausdruck hält sich allerdings bloß zwei traurige Sekunden, bevor er einer gekonnt gefassten Miene weichen muss.
Beindruckender Wechsel, das muss selbst ich zugeben.
Das unangenehme Schweigen zieht sich in die Länge, bis Lance sich seiner erbarmt und es unterbricht.
„Urgs… aua.“
Ich wiederum, der ich am nächsten dran stehe, erbarme mich dem gestürzten Drachendeppen vom Dienst und ziehe ihn mit Hilfe von Tomas wieder auf die Beine.
Klassisch.
George ist inzwischen damit beschäftig, Fleury dermaßen strahlend anzulächeln, als hätte er seine Lieblingsgroßtante vor sich (und zwar die, die an Feiertagen immer mit den richtig großen Geschenken auftaucht). Er hebt die Hand und winkt fröhlich.
„Hi!“
Für den Bruchteil einer Sekunde scheint es so, als ob Fleury ihm diese Geste unbewusst nachmachen will, aber er bemerkt es gerade noch rechtzeitig und lässt seine Hand hastig wieder sinken.
„Guten Tag“, sagt er reserviert, „Ich, ah, ich hatte ja keine Ahnung, dass Sie hier sein würden…“
„Jahh“, sage ich grinsend, „Wir eigentlich auch nicht.“
„Spontanurlaub“, ergänzt George, „Sie verstehen?“
Fleurys Gesichtsausdruck ist alles andere als begeistert. „Ah ja.“
Der Rest sieht verdutzt zwischen ihm und uns hin und her.
„Sie…“, sagt Ophelia langsam, „Sie kennen sich?“
„Also“, sagt George zum zweiten Mal an diesem Morgen, „Kennen ist etwas übertrieben.“
„Ganz und gar übertrieben“, bestätigt Fleury, bevor ich noch den Mund aufmachen kann und kurz weiß ich nicht, ob ich schockiert sein soll, weil das genau die Bemerkung ist, die ich eigentlich machen wollte, „Aber nun ja, ah… wenn man so darüber nachdenkt, ah, kommt diese Situation vielleicht doch ganz gelegen, nicht wahr?“
Uh weh.
Mir ist absolut klar, wohin das führt und um ehrlich zu sein, es kommt uns ganz und gar nicht gelegen, aber viel lässt sich nicht mehr ändern.
George lächelt etwas gezwungen. Da müssen wir jetzt wohl durch.
„Vollkommen.“
Ursprünglich hatten wir ja damit gerechnet, dieses Gespräch noch um ein paar Tage hinausschieben zu können – möglicherweise sogar bis nach Weihnachten – aber das können wir nun offensichtlich vergessen.
Wer ahnt denn auch, dass der verdammte Typ hier plötzlich auf der Türschwelle steht?
„Nun, ah“, fährt Fleury geschäftsmäßig fort, „Wenn sich schon die Gelegenheit dazu bietet, dann schlage ich vor wir, ah, wir klären das sofort?“
„Yep“, ich nicke aus Mangel an Alternativen zustimmend, „Großartige Idee.“
„Na denn“, Fleury wendet sich an Ophelia, „Besteht die Möglichkeit sich irgendwo, ah, ungestört unterhalten zu können?“
Sie nickt argwöhnisch und wirkt ganz klar so, als würde sie am liebsten fragen, was hier eigentlich los ist, aber sie hält sich zurück (was vermutlich eher an Fleury liegt und nicht an uns).
„Selbstverständlich.“
„Also dann“, flüstert George mir beinahe unhörbar zu, als wir Ophelia so folgsam hinterher marschieren wie der reinste Kindergarten (und als wir das Esszimmer passieren, wirft Fleury einen seltsam durchdringenden Blick auf den Rest der Truppe, der immer noch im Türrahmen steht und uns neugierig beobachtet), „Bringen wir’s hinter uns.“
~-~-~-~
„Tja, nun“, Fleury legt bedächtig die Hände zusammen, „Haben Sie sich meinen Vorschlag überle-“
„Wir verkaufen nicht“, sage ich gleichzeitig.
„Ausgeschlossen“, bestätigt George, „Sorry.“
Das ist ganz eindeutig nicht die Antwort, die er von uns hören wollte. denn er sieht beinahe schockiert aus.
„Ah... was?“
„Wir verkaufen nicht“, wiederhole ich in meinem höflichsten Tonfall, „Ausgeschlossen. Sorry.“
Er sieht mich an, als wolle er mir noch eine Chance geben, den unverzeihlichen Fehler, den ich in seinen Augen gerade begehe, wieder gutzumachen, „Wie bitte?“
„Wir verkaufen nicht“, sagt George genauso höflich, „Ausgeschlossen. Sorry. Sagen Sie mal, ist mit ihrem Gehör alles in Ordnung? Ich frage das nur, weil-“
„Meinem Gehört geht es gut“, faucht er, „Bestens!“
Ich klopfe ihm aufmunternd auf die Schulter. „Na, ist doch schön.“
Er starrt auf meine Hand, als hätte er gute Lust, sie mir mit einem gezielten Fluch vom Körper zu trennen. Vorsichtshalber ziehe ich sie wieder zurück. Ich hänge an meinen Gliedmaßen.
„Sie verkaufen also nicht“, bringt er auf den Punkt.
George schüttelt nachdrücklich den Kopf. „Ausgeschlossen.“
Das hinterher gemurmelte „Sorry...“ kann ich mir einfach nicht verkneifen und dann bin ich mir kurz nicht sicher, was zuerst eintreten wird – mein Zwillingsbruder, der loslacht oder Fleury, der mir an die Kehle springt, um mich mit bloßen Händen zu erwürgen.
Vorerst bleiben mir allerdings beide Möglichkeiten erspart, auch wenn sein Kopf so rot anläuft, als würde er gleich explodieren (und dass George mittlerweile breit grinst, weiß ich auch ohne hinzusehen).
Mit vor Wut verzerrtem Gesicht baut Fleury sich vor uns auf.
„Meine Herren, Sie haben sich das gut überlegt?“, seine Stimme klingt immer noch so, als erwarte er, dass wir jeden Moment unter dem enormen Druck zusammenbrechen (ha, ha), um ihm reumütig unsere Treue zu schwören, „Wirklich gut überlegt?“
Was... mit ziemlicher Sicherheit nicht passieren wird.
Weder heute, noch in zwanzig Jahren.
„Uhm“, macht George gespielt unsicher, „Also, äh... okay, wenn Sie uns so fragen, dann... na ja, was soll ich sagen?“
Er wirft mir einen hilfesuchenden Blick zu und ich kratze mich am Hinterkopf.
„Ähm... tja, das ist... wirklich schwierig, ernsthaft... ich würde sagen, uh... nein? Immer noch? Was meinst du, Bruderherz?“
George zuckt mit den Schultern, grinst dann strahlend.
„Ja, einverstanden. Ich schätze, damit kann ich leben.“
Dass wir uns über ihn lustig machen, scheint nicht unbedingt dazu beizutragen, die ohnehin schon angespannte Lage zu entschärfen. Ganz und gar nicht.
Einen Blick in Fleurys Gesicht später ist mir klar, dass er uns das übel nimmt.
Sehr ĂĽbel nimmt.
„Sie-“, seine Stimme zittert vor Zorn, „Sie halten sich wohl für witzig?“
Das letzte Wort spuckt er aus, als wäre es die schlimmste Beleidigung, die er sich nur vorstellen kann und wer weiß... in seiner kleinen Welt trifft das möglicherweise sogar zu.
(Irgendwie seltsam. Er ist nicht der Erste, der uns vorwirft, uns für „witzig“ zu halten und auch bei weitem nicht der Erste, der diese Bemerkung beleidigend meint.
Deshalb sei an dieser Stelle ganz kurz erwähnt: Wir halten uns für witzig. Den Großteil unseres Lebens zumindest. Und wir sind nicht gekränkt, wenn uns das mit vor Verachtung triefender Stimme an den Kopf geworfen wird. Das hält uns nicht auf, wir sehen das vielmehr als Bestätigung.)
„Ja“, sagt George unbeeindruckt, „Die meiste Zeit über schon.“
„Zugegeben“, ergänze ich, „Hin und wieder gibt es da gewisse Momente...“
„Aber die sind selten.“
„Sehr selten.“
Fleury ist so sauer, dass man richtiggehend spĂĽren kann, wie sich seine Wut im Zimmer ausbreite.
„Sie halten auf der Stelle die Klappe!“, er stich seinen Zeigefinger in unsere Richtung, während George und ich ihm interessiert dabei zusehen, „Sofort! Sie werden mir ganz genau zuhören, meine hochverehrten Herren, denn ich sage Ihnen jetzt, was Sie zu tun haben. Sie werden ihr Unternehmen an mich verkaufen. Punktum. Heute noch. Ich werde bezahlen, Sie werden mein Geld annehmen. Haben Sie das verstanden?!“
He, he, he... gaaanz schlechte Frage. Das hätte ihm jeder sagen können, der schon mal irgendwas mit uns zu tun hatte. Die haben wir noch nie gemocht. Und überzeugt hat sie uns auch noch kein einziges Mal.
Außerdem fällt mir auf, dass sein geheiligter Zorn offenbar positiven Einfluss auf seine nervtötende Art zu Reden hat – der ganze Sermon ist ohne ein einziges seiner „ahhh...“s über die Bühne gegangen.
„Laut und deutlich“, sage ich pflichtbewusst, „Mit unserem Gehör ist nämlich alles in Ordn-“
„Mit meinem auch!“, fällt Fleury mir fuchsteufelswild ins Wort, „Kapiert?! Alles. In. Ordnung!“
„Ähm... großartig?“, sagt George mit so überzeugender Irritation in seiner Stimme, dass sie beinahe echt sein könnte, „Das freut uns aber.“
Das scheint der letzte Tropfen zu sein, der das Fass zum Ăśberlaufen bringt. Oder zumindest der letzte Rest, der noch gefehlt hat, um Fleury richtig, richtig sauer zu machen.
(Beziehungsweise, der letzte Rest, der noch gefehlt hat, um ihn wirklich einschnappen zu lassen, denn sauer war er zweifellos schon, seit diese Unterhaltung begonnen hat.)
Das Bisschen, das er noch gebraucht hat, um endgültig zu dem Schluss zu kommen, dass er uns nicht mag, weil wir inkompetent und unreif sind und es deshalb auch gar nicht verdient haben, ein eigenes Geschäft zu führen – nicht zuletzt deshalb, weil er das an jedem Tag der Woche dreimal besser könnte.
Ich grinse George verschwörerisch zu. Tse.
Als ob wir jemals abgestritten hätten, unreif zu sein...
Fleurys Zeigefinger durchschneidet die Luft, als hätte er vor, sie in zwei Hälften zu zerteilen und der Ausdruck auf seinem Gesicht macht irgendwie deutlich, dass es vielleicht nicht allzu schlecht gewesen wäre, hätte er in seiner Kindheit hin und wieder mal einen Wunsch abgeschlagen bekommen.
Wäre sicher eine wertvolle Lektion gewesen.
„Eines kann ich Ihnen versichern, so schnell gebe ich mich nicht geschlagen!“, er wirkt so wild entschlossen wie Hermine Granger, wenn sie sich in der Bibliothek niederlässt, um einen ihrer Aufsätze zu beginnen, „Haben Sie gehört? So schnell werden Sie mich nicht los!“
Huh. Also, wenn das keine ernstzunehmende Drohung ist, dann weiß ich auch nicht. (Und dummerweise ist uns zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar, wie ernstzunehmend diese Drohung tatsächlich ist.)
„Ohh nein“, macht George sarkastisch, „Das können Sie doch nicht machen!“
Hätte er mal bloß seine Klappe gehalten.
~-~-~-~
Der ganze Rest steht im Flur, als wir das Zimmer nach unserer „Geschäftsbesprechung“ wieder verlassen – gerade weit genug, um klarzumachen, dass keiner von ihnen an der Tür gelauscht hat, aber nahe genug, um zu demonstrieren, dass sie brennend interessiert sind.
Ein paar erklärende Worte, Ophelia, die sagt, dass wir schön langsam aufbrechen sollten, weil heute ja eigentlich noch etwas vollkommen anderes auf dem Programm steht (Charlie, ach ja richtig... wusste doch, irgendwas war da noch...) und dann kommt der Hammer:
Fleury verkündet mit säuerlichem Gesichtsausdruck, dass er uns begleiten wird.
Dass ihn daraufhin alle anstarren, als erwarten sie, dass diese Bemerkung ein besonders schlechter Witz gewesen ist, verärgert ihn noch mehr.
„Aber...“, stottert Ophelia perplex, „Aber das... nicht möglich. Tut mir leid, Sir, aber Sie können nicht...“
Er sagt ihr, dass er tun und lassen kann, was auch immer ihm passt, weil der miese Laden hier (seine Wortwahl, nicht meine) auf das Geld angewiesen ist, das er zu VerfĂĽgung stellen wird. Wenn er das richtig sieht.
Also kommt er entweder mit oder die Sponsor-Sache ist gelaufen.
Und ganz ehrlich, auch wenn er mir vorher schon unsympathisch war – jetzt kann ich ihn erst recht nicht mehr ausstehen.
Ich hasse Leute, die so mit ihrem Geld herumprotzen.
Ich meine okay, es ist nicht so, dass wir das nicht ab und zu auch tun wĂĽrden, aber... ihr wisst schon.
Nicht auf diese Mir-gehört-die-Welt-und-alle-haben-zu-tun-was-ich-sage-Art und Weise. So was ist einfach asozial.
George wirft mir einen raschen Seitenblick zu, der abwägen soll, ob es überhaupt ratsam ist, irgendetwas zu sagen. Versteht uns nicht falsch, wir würden uns jederzeit mit diesem aufgeblasenen Großkotz anlegen, selbst dann noch, wenn wir bettelarm wären und ihm halb Europa gehören würde (was Merlinseidank nicht Fall ist).
Soweit ich das beurteilen kann sind die Karten ohnehin einigermaĂźen gerecht verteilt.
Aber es geht hier nicht um uns, auch wenn unsere Anwesenheit wieder mal der Auslöser war, denn uns kann es schließlich egal sein, dass Fleury stocksauer seine finanzielle Unterstützung zurückzieht.
Wir mĂĽssen das ja nicht ausbaden.
Was können diese ganzen Leutchen hier dafür, dass wir Verrückte (oder, um fair zu bleiben, vielleicht schlicht und einfach auch bloß Leute mit gewaltigen Egoproblemen) nun mal anziehen wie das Licht die Motten?
Also halten wir die Klappe, so schwer das auch fällt und verfolgen schweigend den Rest der Diskussion, die damit endet, dass Lance Fleury wild gestikulierend über die Sicherheitsrisiken aufklären will und darüber, wie riskant unser Vorhaben eigentlich ist und Fleury ihm kurz und bündig sagt, dass er die Klappe halten soll.
Soviel zu seiner früheren Höflichkeit, huh?
Blödes Arschloch.
Ich muss ehrlich zugegeben, schön langsam beginne ich auch damit, etwas ungehalten zu werden. Für diesen Mist sind wir nicht hergekommen und mal ehrlich – haben wir auch nur annährend Zeit dafür?
Nein. N.E.I.N. um das mal so deutlich wie möglich auszubuchstabieren.
Keine Zeit. Gar keine. In vier Tagen ist Weihnachten, in zwei hat Percy seine Anhörung im Ministerium, Charlie ist immer noch weg und wir verschwenden hier unseren wertvollen Vormittag mit einem halbstarken Neureichen im Nadelstreifumhang.
Ganz abgesehen davon, dass in der Winkelgasse noch irgendein Unbekannter herumrennt, der uns umlegen will.
Und abgesehen von der Sache mit Angelina und ihrer Weihnachtseinladung. (Die ich ĂĽbrigens vielleicht doch bald guten Gewissens ins Wasser fallen lassen kann, denn wenn das hier so weitergeht...)
Das ist jetzt reine Neugier, aber warum zum Teufel kommt eigentlich immer alles auf einmal?
„Ich, ah, ich werde das nicht mit Ihnen diskutieren“, sagt Fleury blasiert, „Verstanden? Ich komme mit und Schluss.“
Ophelia wirft erst ihm, dann uns einen zweifelnden Blick zu und in diesem Moment tut sie mir ehrlich leid.
„Ich kann das nicht entscheiden“, sagt sie beherrscht, „Da müssen Sie schon-“
Sie deutet auf George und mich. Aha?
Es geht um unseren Bruder, deshalb dĂĽrfen wir offensichtlich auch bestimmen, wer bei seiner Rettung mit von der Partie sein darf.
George sieht mich sekundenlang an, dann winkt er mit einer resignierten Handbewegung
ab. „Klar“, sagt er, „Wieso nicht.“
Und ich fühle mich, obwohl ich im Endeffekt gar nicht mal so schlecht geschlafen habe, plötzlich irgendwie müde.
~-~-~-~
Es ist kalt.
Wartet, streicht das. Es ist eiskalt. Schweinekalt.
Jeder-Schneemann-würde-umdrehen-und-in-wärmere-Gefielde-flüchten-kalt, trotz der dick gefütterten Umhänge, die wir bekommen haben.
Der einzige Trost ist, dass die Besen, die Traian, der schweigsame Riese aus der windschiefen HĂĽtte gezaubert hat, zumindest nicht allzu mies sind. (Nicht ganz up-to-date und sicher gebraucht gekauft, aber im GroĂźen und Ganzen nicht ĂĽbel.)
Ach ja, und die Tatsache, dass Fleury es anscheinend schon bereut, mitgekommen zu sein.
Der Wind ist absolut tödlich, aber dafür schneit es nicht. Den anderen zufolge ist das positiv zu werten. Im Moment merke ich zwar nicht viel davon, dass auf der Plus-Liste auch ein paar Sachen zu vermerken sind, aber wie auch immer.
Die werden schon wissen, wovon sie reden.
Wir suchen Charlies Zelt.
Das oder zumindest irgendein anderes Anzeichen dafür, dass er noch unter den Lebenden weilt. Wenigstens wissen wir, wohin er ungefähr wollte.
Und zugegeben, dass wir die ungefähre Richtung kennen ist nicht gerade berauschend in Anbetracht der Tatsache, dass sich rundherum schier endlose Wälder erstrecken (in denen, ich kann das gar nicht oft genug erwähnen, waschechte Drachen leben), aber bitte.
Ein Anfang ist ein Anfang und ich schätze, es ist immer noch besser als nichts.
Anderthalb Stunden, unzählige durch die Kälte nahezu gefühllose Gliedmaßen und etliche Beschwerden später haben wir das Zelt tatsächlich gefunden.
(Obwohl... der Begriff „Zelt“ ist, genau wie eine ganze Menge anderes Zeug, das uns untergekommen ist, seit wir hier sind, eine sehr optimistische Bezeichnung. Und nach Optimismus ist uns allen mittlerweise nicht mehr wirklich zumute.)
Es leuchtet einsam blassgrün auf einer kleinen Lichtung mitten im Nirgendwo vor sich hin und hebt sich nur schwach von den umliegenden, schneeverwehten Baumstämmen ab.
Noch bevor wir auf der steinhart gefrorenen Schneeschicht aufsetzen, die sich zu Unrecht Boden nennt, ist mir klar, dass dieses Ding schon seit längerer Zeit niemand mehr bewohnt hat. Es sieht so alleine und verloren aus, dass man als unbeteiligter Zuseher beinahe in Versuchung kommt, ihm einen Namen zu geben und es mit nach Hause zu nehmen.
Nähere Untersuchung ergibt, dass der erste Eindruck richtig war.
Kein Charlie weit und breit. Ist das jetzt gut oder schlecht?
Traian beginnt, mit gerunzelter Stirn die Umgebung abzusuchen, während wir uns dazu entschließen, das Zelt zu durchstöbern. Lance scheint hin- und hergerissen, wem er denn nun folgen soll und kommt uns schließlich hinterher gestolpert.
Fleury bleibt mit verschränkten Armen draußen stehen. Keine Ahnung, ob ihm überhaupt klar ist, dass die Person, nach der wir suchen, unser Bruder ist.
Ich wĂĽsste nicht, wer ihm das mitgeteilt haben sollte und ganz ehrlich? Es ist mir auch scheiĂźegal.
Drinnen ist es eng und muffig, aber dafĂĽr ist wenigstens der scheidende Wind kein Thema mehr.
Viel Anzeichen auf Leben gibt es jedoch nicht. Eine der beiden Schlafkojen ist zerwĂĽhlt und eine leere Tasse mit eingetrocknetem Kaffeerest steht herum, auĂźerdem ein zerfledderter Rucksack mit ein paar Klamotten.
Kein Winterzeug. Keine warmen Sache, keine Stiefel, keine Handschuhe.
All das, was ein geistig gesunder Mensch mitnehmen (beziehungsweise anziehen) würde, wenn er vorhat, da hinaus in die ungastliche Kälte zu marschieren, ist weg.
„Hey“, murmelt George und zieht etwas aus der zerwühlten Decke hervor, das anscheinend auf der Matratze gelegen hat, „Sieh mal.“
Zwar nehme ich an, dass er mich gemeint hat, aber Lance stellt die Kaffeetasse, die er gerade eingehend inspiziert hat, trotzdem auf der Stelle wieder hin und hetzt herĂĽber.
Was soll’s.
Es ist ein altes, fleckiges, in Leder gebundenes Notizbuch. George schlägt es auf, blättert ein paar Seiten und- bingo. Wenn das nicht Charlies Handschrift ist, trete ich unseren Laden freiwillig an Fleury ab.
Ohne einen einzigen Knut dafĂĽr zu kassieren, versteht sich.
Ich werfe meinem Zwillingsbruder einen zögernden Blick zu, weil ich nicht weiß, wie ich das Ganze einordnen soll. Echt jetzt mal, gut oder schlecht?
Er zuckt unbeholfen mit den Schultern.
Und ich weiß, eigentlich sollte mich das noch stärker beunruhigen als sonst was, aber seltsamerweise hat es genau den gegenteiligen Effekt. Komplett unlogisch, wenn man so darüber nachdenkt, denn es wäre schon ganz nett, wenn wenigstens einer von uns beiden eine ungefähre Ahnung davon hätte, was man hiervon halten soll.
Aber dass George genauso ratlos ist... was weiĂź denn ich.
Irgendwie beruhigt mich das. (Vielleicht auch nur deshalb, weil es ein bekannter Faktor auf unbekanntem Terrain ist.)
„Tja“, sage ich, „Toll. Jetzt wissen wir wenigstens, dass wir nicht im Zelt von irgendeinem Wildfremden gelandet sind.“
„Mh-hm“, macht George und sieht hinüber zum Eingang, wo die Zeltplane geräuschvoll im Wind flappt – dahinter kann man vage den düsteren, schier undurchdringlichen Wald ausmachen, „Ich meine, klar. Hätte ja auch wahnsinnig leicht passieren können, bei dem irren Betrieb, der hier herrscht...“
„Die Gefahr war auf jeden Fall gegeben.“
„Definitiv“, er wirft das Notizbuch zurück aufs Bett, „Bruderherz, ich weiß nicht, wie du das siehst, aber hier drin ist er auf jeden Fall nicht.“
„Sehr scharfsinnig.“
„A-aber“, schaltet sich Lance ein, der die vergangenen paar Minuten erstaunlich ruhig gewesen ist, „Vielleicht ist er ja auch nur kurz rausgegangen... ich meine, wäre doch möglich, oder? Nicht sehr wahrscheinlich, schon klar, aber nur ganz eventuell- wer weiß, ob er nicht gleich wieder kommt...?“
Ich klopfe ihm auf die Schulter.
„Sicher. Er ist nur schnell zu den Nachbarn, um sich was zu borgen.“
Beinahe unnatĂĽrlich groĂźe Augen sehen mich verwirrt an.
„Was, Nachbarn? Aber wir sind mitten im Wald, da gibt es doch gar keine-“
Hinter seinem RĂĽcken verdreht George die Augen und grinst leicht.
„Das war n’Witz“, sagt er, „Mach dir nichts draus, die von Fred sind meistens nicht so besonders. Daran gewöhnt man sich.“
Die Zeltplane wird ruckartig zurĂĽckgezogen und sekundenlang denke ich, dass Fleury uns schon wieder auf die Nerven gehen will, aber es ist Traians riesenhafte Silhouette, die sich etwas gebĂĽckt herein schiebt.
Er macht eine eindeutige Bewegung mit dem Kopf, dass wir ihm folgen sollen. Genau das tun wir dann auch und trotten ihm artig hinterher nach drauĂźen, wo er so stumm und aufrecht stehenbleibt wie ein Fels, der sich keinen Deut um die Brandung schert.
Einige Meter weiter runzelt Fleury irritiert die Stirn.
„Uhm“, sage ich, zugegebenermaßen selber etwas verwirrt, „...ja und?“
„Äh“, schaltete sich Lance ein, „Äh. Ich denke, er will, dass wir, ihr wisst schon, ähm... ich denke, er würde es für eine gute Idee halten, wenn wir die Umgebung absuchen. Also, keine Ahnung, einfach die... Umgebung eben. Also... ja.“
Traian bestätigt diese Theorie mit nachdrücklichem Nicken.
Richtig... der Typ, spricht ja nicht. Aus welchem Grund auch immer.
Ich gebe mir MĂĽhe, nicht allzu genervt auszusehen.
„Suchen?“, fragt George etwas sarkastisch, „Großartige Idee. Warum sind wir da nicht selber draufgekommen? Oder hey, Moment, wartet mal – oh, na so was. Das machen wir grade.“
Auf Traians Gesicht breitete sich ein Grinsen aus. Hm. Wenigstens scheint er so was wie Sinn fĂĽr Humor zu haben. (Auch wenn ich mir ziemlich sicher bin, dass der Sarkasmus meines Zwillingsbruders gerade eben vollkommen ernst gemeint war.)
„Ah, wenn ich hierzu auch etwas bemerken dürfte“, Fleury kommt ein paar Schritte näher, „Die, ah, die Idee erscheint mir ganz vernünftig zu sein.“
Na sicher doch. Und Sie, mein verehrter Sir, scheinen mir ein komplett unsympathisches Arschloch zu sein, aber muss ich Ihnen meine Ansichten unbedingt auf die Nase binden?
Kurze Antwort: Nein, muss ich nicht.
Wäre ganz nett, wenn Sie’s umgekehrt auch so halten würden.
Ich sage keine der zahlreichen Bemerkungen, die mir augenblicklich durch den Kopf schießen. Erstens, weil mir absolut klar ist, dass der unwillkürliche Widerwillen eine Reaktion auf die dezent beschissene Tatsache ist, dass wir unserem Bruder immer noch kein Stück näher sind als vor drei Tagen und zweitens, weil er im Grunde mehr als Recht hat.
Meine Antwort gilt, mehr Gewohntheit als bewusste Entscheidung, ausschlieĂźlich George.
„Ich sag’s echt ungern, aber...“
George nickt seufzend. „Ich weiß.“
„Also...?“
„Meinetwegen.“
Lance’ Kopf dreht so schnell zwischen uns beiden hin und her, dass ich mich erneut zu fragen beginne, warum er sich in seinem bisherigen Leben noch keinen Halsmuskel gezerrt hat. Vor lauter Feuereifer hüpft er beinahe im Stehen.
„Und?“, macht er, „Und, und? Was denn jetzt?“
Traian verpasst ihm genervt einen Schlag auf den Hinterkopf.
~-~-~-~
Ich latsche mit Lance durch den Wald.
Der Schnee ist so tief gefroren, dass er dort, wo wir unsere Füße hinsetzen, krachende Geräusche macht.
George ist mit Traian unterwegs und Fleury ist beim Zelt zurückgeblieben, für den recht unwahrscheinlichen Fall, dass Charlie zurückkommen sollte... ähem.
Die Wahrheit ist, er ist zurĂĽckgeblieben, weil ihn niemand so richtig dabeihaben wollte. Aber das macht die Funktion, die er zu erfĂĽllen hat, nicht weniger wichtig.
Um ehrlich zu sein, im Moment beneide ich ihn ein wenig. AuĂźerdem beneide ich George, der die Pantomime als Begleiter abgekriegt hat. Einfach unfair. Und warum?
Weil Lance dabei ist, zu reden. Ununterbrochen.
Über Charlie. Über die Dinge, die Charlie hier tagtäglich so tut. Über die Dinge, die er, Lance, hier tagtäglich so tut. Über das Reservat und Harvey Ridgebit, den Typen, der es anno dazumal gegründet hat. Und darüber, wie sehr er die Arbeit hier mag.
Ich nicke von Zeit zu Zeit. Mann.
Vermutlich könnte Charlie sich laut schreiend von einem Ast herunter schwingen und ich würde es nicht mitkriegen, weil Lance zu beschäftigt damit ist, seine ganze Lebensgeschichte vor mir auszubreiten.
„...meinen Vater hat beinahe der Schlag getroffen, als ich ihm gesagt hab, was ich machen will. Ich meine, klar, ich hab gewusst, dass es ein Schock für ihn sein wird... arbeitet im Ministerium und alles... aber dass er gleich so ausrastet! Der hat mich praktisch rausgeworfen, einfach so, zack-bamm vor die Tür gesetzt und seitdem hat er kein Wort mehr mit mir geredet.“
Oh. Na gut, okay, das ist echt nicht besonders schön.
„Nett“, kommentiere ich trocken.
Er nickt, sieht sekundenlang verbissen aus und zuckt dann mit den Schultern.
„Na ja, was soll’s. Er wollte, dass ich im Ministerium anfange, am besten gleich in seiner Abteilung. Hocharbeiten hat er’s genannt, aber mal ganz im Ernst, nein danke. Da hatte ich keine Lust drauf... ich schätze mal, er war ziemlich enttäuscht.“
An diesem Punkt scheint er auf Zustimmung zu warten.
„Schon möglich“, murmle ich, auch wenn ich mir die Art von Situation nicht wirklich vorstellen kann.
Ich meine klar, Mum war sauer, dass George und ich alles hingeschmissen haben, um den Laden hochzuziehen, aber im GroĂźen und Ganzen...
Keiner von uns hat je von unseren Eltern vorgeschrieben bekommen, was wir mit unserem Leben anfangen sollen und mit einem Mal bin ich enorm dankbar dafĂĽr.
(Auch wenn diese Freiheit im weitesten Sinne dazu geführt hat, dass ein Familienmitglied jetzt den tiefsten Tiefen rumänischer Wälder verschwunden ist.)
Lance scheint meine geistige Abwesenheit nicht zu bemerken (entweder das, oder sie stört ihn nicht sonderlich). Er redet unbeirrt weiter.
Ich versuche, wieder genauer hinzuhören und scheitere kläglich. Anscheinend geht’s immer noch um seinen Vater.
„...und dann war er auch immer so stolz auf seine verantwortungsvolle Aufgabe. Mann, ich sag dir, das war der reinste Witz... Ernsthaft mal, als ob Import und Export von magischem Zeugs genau das wäre, was die Welt im Innersten zusammenhält. Pff und jetzt tut er sogar so, als gäbe es mich gar nicht – lass dir das mal auf der Zunge zergehen! Ich werde von meinem eigenen Vater ignoriert, nur weil ich mir meinen Beruf selber ausgesucht habe. Ist das nicht...“
Ich höre nur mit halbem Ohr zu, nicke und habe dann mit einem Mal das ungute Gefühl, gerade irgendwas Wichtiges verpasst zu haben. Was hat er noch mal gesagt...?
Und in der nächsten Sekunde ist es mir auch schon wieder vollkommen egal, weil genau das der Moment ist, in dem die Schneedecke unter meinen Füßen ruckartig nachgibt.
~-~-~-~
Trulli~lalala... hab letztens bei 'nem Twincest-Wettbewerb gewonnen. xD
Dabei hab ich bloĂź teilgenommen, weil ich mal sehen wollte, ob ich sowas schreiben kann.
Hat mich echt umgehauen.
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