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Fanfiction

Dragoman - Gedächtniskrater

von Muggelchen

Es roch seltsam. Sein getrübtes Bewusstsein stellte eine kuriose Assoziation zu Räucherware her. Rauch. Trockene Kehle.

„Durst“, sagte er. Er war sich nicht sicher, ob es wirklich Worte oder nur Gedanken gewesen waren. Doch als er fühlte, wie Wasser seine Lippen benetzte, war ihm klar, dass jemand ihn gehört haben musste. Das Schlucken fiel ihm schwer, ebenso das Sprechen. „Was …?“
Irgendjemand schien seine Gedanken zu lesen. Eine angenehm ruhige Stimme erzählte und erzählte und erzählte: „… Explosion … Saudi-Arabien … Verätzung …“ Der Mann hörte einfach nicht auf zu reden. „Frankreich … Krankenhaus … kümmern.“

Wer wollte sich um ihn kümmern? Seine Augenlider waren so schwer. Nur eines konnte er heben, das andere war blockiert. Mit einem Male waren da grüne Augen. So dicht bei ihm.

„Wer bist du?“
Über den grünen Augen zogen sich die Brauen fragend zusammen. „Bitte was?“
„Ich kenne dich nicht.“

Was spiegelte sich da im Glas der runden Brille wider? War das etwa er selbst? Mit einem Verband über dem Auge und aufgeplatzten Lippen. Der Mann in der Spiegelung kam ihm nicht bekannt vor.

„Wer bin ich?“

Gleich, nachdem er die Frage gestellt hatte, übermannte ihn ein mulmiges Gefühl. Ich. Dieses Wort war in der Regel die Bezeichnung für eine individuelle Identität, für eine Persönlichkeit. Die Frage Wo bin ich? konnte nur beantwortet werden, wenn zunächst geklärt war, wer sich hinter dem Ich verbarg. Darauf hatte er keine Antwort und genau das machte ihm Angst. Wer war er?

Der Schreck stand Draco deutlich ins Gesicht geschrieben. Harry hatte Erfahrungen mit Personen, die verängstigt, verwirrt oder beides zusammen war.

„Hey, beruhige dich“, sagte Harry mit antrainierter Beherrschtheit, die ihm in ähnlichen Situationen schon oft geholfen hatte.

Der Ablauf eines Schreckmoments verlief irgendwie immer gleich, dachte Harry. Angst erkannte man besonders an zwei Merkmalen: aufgerissene Augen und offenstehender Mund. Das war der Moment, in dem die Instinkte die Zügel in die Hand nahmen. Solche Situationen hatte Harry bei anderen Menschen schon oft erleben müssen. Das Gute an den Instinkten war, dass die Menschen immer ähnlich reagierten und er sich als Auror darauf einstellen konnte. Bei Draco war das jedoch anders. Sein Überlebenstrieb riet ihm zum Kampf oder zur Flucht, doch Draco konnte das Bett nicht verlassen. Deshalb machte sich der Schreck des Ausgeliefertseins auf andere Weise bemerkbar. Draco atmete hastig. Viel zu hastig. Er atmete mehr ein als aus.

„Ganz ruhig, Draco.“ Auf seinen eigenen Namen reagierte Draco nicht, sodass Harry sich dazu entschloss, eine Hand an Dracos Oberarm zu legen. Es funktionierte. Draco blickte ihn an und Harry wiederholte so gelassen, wie es ihm in dieser seltsamen Situation möglich war: „Ganz ruhig, Draco. Es ist alles in Ordnung. Du hattest einen Unfall und bist hier in Sicherheit.“ Noch während Harry sprach, beruhigte sich Dracos Atmung wieder.

Unerwartet wurde Draco jedoch schwarz vor Augen. Seine Gedanken verstummten. So eine Stille kannte er nicht. Sie war befremdlich, doch gleichzeitig wohltuend. Ein Dornröschenschlaf.

Die Schwester kam zurück ans Bett. „Ist er wach?“
„War er eben, aber er schien nicht zu wissen, wer ich bin.“
„Machen Sie sich keine Sorgen. Das kann, wenn Sie ihn morgen besuchen, schon ganz anders aussehen.“
„Morgen?“ Harry drehte sich zu Teddy um, der angespannt auf einem Besucherstuhl saß und nicht so recht zu wissen schien, welche Rolle er in diesem Krankenhaus-Drama spielte.
„Sie kommen doch morgen sicher wieder?“, fragte die Schwester. Ohne auf eine Antwort von Harry zu warten, fügte sie gleich hinzu: „Bei schlimmen Verletzungen wie diesen wirkt sich sozialer Kontakt positiv auf den Genesungsprozess aus. Wichtig ist, dass der Patient sich wohlfühlt und dazu zählt vor allem, dass er Besuch von seinen Lieben erhält.“
‚Von seinen Lieben‘, wiederholte Harry in Gedanken. Er gehörte ganz bestimmt nicht dazu, eher zu den lieben Feinden.
Sein Patensohn schien eine Lösung zu kennen: „Rufen wir doch Tante Fleur und Onkel Bill an! Vielleicht können wie bei ihnen übernachten. Dann kannst du morgen wieder herkommen.“

Die beiden würde er gern mal wieder sehen, dachte Harry, nur war es nicht sein Stil, sich bei anderen einzuladen. Er hatte nicht einmal deren genaue Adresse, sonst hätte er ihnen eine Ansichtskarte geschickt. Harry blickte zur Schwester, die mit ihrem Stab irgendwelche Werte vom bewusstlosen oder schlafenden Draco ablas. Es könnte nicht schaden, nach dem heißen Ägypten noch eine Woche in dem angenehm temperierten Frankreich zu bleiben.

Als Harry übers krankenhauseigene Flohnetzwerk bei Hermine durchrief, um die Adresse von Bill und Fleur in Erfahrung zu bringen, nutzte sie diesen Moment, um ihm einige Standardformulare vom Ministerium in die Hand zu drücken. Unter anderem befand sich ein Antrag auf eine Auslandsfall-Übernahme darunter. Sie dachte einfach an alles.

„Warum bist du eigentlich nicht Auror geworden“, wollte Harry von Hermine wissen. Eine Frage, die er sich mindestens schon hundert Mal gestellt hatte.
„Du weißt genau, dass ich als Angestellte des Ministeriums gar keine Veränderungen erreichen würde. Ich kann schlecht die Hand beißen, die mich füttert. Nur mit meiner oppositionellen Gruppe werde ich auf die Missstände aufmerksam machen können, die nach dem Krieg noch immer in unserer Gesellschaft …“
„Gott, wie habe ich dich vermisst!“, scherzte Harry, als er seiner besten Freundin ins Wort fiel.
Hermine verstand den Wink, denn ein längeres Gespräch übers Flohnetzwerk würde zu teuer werden. Harry hatte sie gestoppt, bevor sie sich warmreden konnte. Wie gewünscht gab sie Harry noch die Adresse von Bill und Fleur. „Vergiss bitte nicht, die Formulare auszufüllen und heute Abend Ron zurückzugeben. Er muss sie morgen Mr. Robards aushändigen. Und grüß mir Fleur und Bill, natürlich auch die Kleinen.“
„Victoire wird sauer sein, wenn ich ihr sage, dass du sie zu den ‚Kleinen‘ zählst.“
„Grüß alle einfach ganz herzlich von mir“, sagte Hermine mit einem Lächeln im Gesicht. „Ich werde Andromeda Bescheid geben, damit sie sich keine Sorgen macht.“

Die Adresse der Weasleys gab Harry der Schwester, damit man wusste, wo er zu erreichen wäre, falls Dracos Zustand sich verschlechtern sollte.

Mit dem Fahrstuhl konnte man nach oben in die Muggelwelt gelangen. Teddy und er wollten die kurze Strecke zu Fuß gehen. Keiner von ihnen war schon mal in Paris gewesen, aber die große Wohnung von Bill und Fleur befand sich tatsächlich nur vier Straßen vom französischen Zaubereiministerium entfernt.

Nachdem Fleur ihre Ausbildung bei Gringotts erfolgreich abgeschlossen hatte, wollte sie mit ihrer Familie zurück nach Frankreich ziehen. Nach dem Krieg hatte Gringotts eine neue Filiale im zwanzigsten Bezirk von Paris eröffnet. Die gut bezahlten Jobs als Fluchbrecher hatten selbst Bill schwach werden lassen, aber überzeugt hatte ihn schließlich die Möglichkeit, eine leitende Position besetzen zu können. Es war ein Neuanfang für die beiden, die eine Familie gründen wollten.

Während des Spaziergangs fiel den beiden eine mindestens zweieinhalb Meter hohe, beigefarbene Steinmauer links von ihnen auf. Sie kamen bald an den Eingang, der von zwei Säulen markiert wurde. An den Säulen stand etwas in Französisch.

„Was ist das?“, wollte Teddy wissen.
„Weiß nicht. Könnte der Eingang zu einem Zoo sein.“ Harry war sich nicht sicher. „Sieh mal, da ist ein Bronzeschild. Gehen wir mal hin.“

Wie ein Trichter führten schienbeinhohe Ketten vom Gehweg bis zum Eingang. Harry und Teddy stiegen darüber und gingen bis nach vorn. Als sie an einer Gruppe Touristen vorbeikamen, fiel der Name Édith Piaf, was Harry nur am Rande mitbekam. Schon bald hatten sie ihr Ziel erreicht. Auf dem Schild stand unter anderem Cimetière du Père Lachaise.

„Das ist ein Friedhof“, riet Harry richtig, als er das französische Wort mit dem englischen Wort cemetery verglich.

Schon bald standen sie an der Tür von Bill und Fleur. Die Überraschung war gelungen. Beide wurden mit offenen Armen empfangen. Die Wiedersehensfreude war groß und anfangs kaum durch Dracos schlechten, aber zumindest stabilen Zustand getrübt. Harry achtete darauf, nur wenig von seinem Einsatz zu erzählen, wenn die Kinder dabei waren, doch die waren beinahe immer anwesend. Teddy hatte weitaus mehr Freude an dem Überraschungsbesuch als sein Patenonkel. Victoire war nur zwei Jahre jünger als Ted und sie verstanden sich bestens. Dominique war fünf und Fremden gegenüber so schüchtern, dass Harry sie kaum zu Gesicht bekam, weil sie sich hinter Mama oder Papa versteckte. Den kleinen Louis kannte Harry noch nicht, denn der schlief und würde heute auch nicht mehr aufstehen. Bill war nicht entgangen, dass Harry mit den Gedanken woanders zu sein schien.

„Harry, was ist los?“, fragte Bill in einer ruhigen Minute am Abend, als Fleur die anderen Kinder ins Bett brachte. „Du siehst angespannt aus.“
Harry knetete seinen Nacken. „Auf mich ist geschossen worden“, sagte er ungläubig, als würde er sich dessen es erst jetzt bewusst werden. „Irgendjemand ist mächtig sauer, dass Draco nicht schon durch die Explosion umgekommen ist und …“ Harry riss die Augen auf. „Oh mein Gott, ich glaube, ich sollte ihn lieber bewachen.“
„Können die im Krankenhaus das nicht regeln?“
Harry zuckte mit den Schultern. „Es müsste rund um die Uhr jemand bei ihm sein.“
Bill schüttelte den Kopf. „Glaubst du, er ist immer noch in Gefahr? Ich meine, Saudi-Arabien ist weit weg. Weiß irgendjemand, wo du ihn hingebracht hast?“
Eine Antwort darauf hatte Harry nicht. „Ich hab bei der ganzen Sache einfach ein schlechtes Gefühl, das ist alles.“

Das schlechte Gefühl wollte nicht weggehen. Es wurde auch nicht besser, als eine Schwester aus dem Krankenhaus sich kurz nach Mitternacht übers Flohnetzwerk meldete und ihm mitteilte, dass man Draco auf die rund um die Uhr bewachte Intensivstation verlegen musste, weil er in einer Wachphase einen lebensgefährlichen Schock erlitten hatte. Diese Nachricht beschäftigte Harry eine ganze Weile, während er die Formulare für Robards ausfüllte, aber wenigstens war er nun sicher, dass niemand sich ungesehen an Draco heranschleichen konnte.

Am nächsten Tag schlief Harry richtig lange aus. Sein Freund Ron hingegen zog sich an diesem eigentlich arbeitsfreien Samstag mit mürrischer Miene an. Hermine entschied sich dazu, ihrem Morgenmuffel Honig ums Maul zu schmieren, indem sie ihm während des Frühstücks hin und wieder beteuerte, wie toll sie es fand, dass er für seinen besten Freund Harry zu einem Gespräch mit dem Vorgesetzten ging, bevor er die verhassten Malfoys aufsuchte. Irgendwann hatte Hermine ihren Mann soweit, dass er glaubte, es sei ohnehin alles seine Idee gewesen. Und während die schlechte Laune den Rückzug antrat, machte Ron sich beschwingt auf den Weg zur Arbeit.

Gawain Robards wusste noch nichts von seinem Glück. Als Leiter der Aurorenzentrale war er selbstverständlich an diesem wie auch an den meisten anderen Samstagen in seinem Büro im Zaubereiministerium und ging Unterlagen durch, als es an seiner Tür klopfte.

„Herein“, sagte Robards, ohne aufzusehen. Er rechnete mit seiner Vorzimmerdame.
„Guten Tag, Mr. Robards.“
Jetzt blickte er auf und zudem erstaunt drein: „Mr. Weasley, Sie haben heute doch keinen Dienst.“
Ron nickte zustimmend. „Es hat sich aber etwas ergeben.“ Er war, das war zumindest seine Meinung, nicht sonderlich gut darin, Dinge zu erklären. „Wissen Sie, Harry …“ Ron zuckte mit den Schultern und entschied, die Angelegenheit ohne weitere Verzögerung vorzubringen. „Er hat im Urlaub jemanden gefunden.“
Robards Augenbrauen schossen in die Höhe. „Jemanden gefunden?“, wiederholte er zunächst ahnungslos, bis er zu verstehen glaubte. „Ah, hat er sich am Roten Meer doch noch einen Fisch geangelt.“
„So ähnlich, Sir, nur dass der Fisch eine Schlange ist und auf den Namen Malfoy hört.“

Es bestand ganz offensichtlich Aufklärungsbedarf. Robards verlangte unverzüglich, über alles informiert zu werden und so gab Ron sämtliche Informationen an seinen Vorgesetzten weiter: der angebliche Unfall von Draco, der Schusswechsel in Saudi-Arabien, bei dem Harry beinahe ein drittes Nasenloch erhalten hätte, und Harrys Übereifer, der ihn zu Dracos Vormund gemacht hatte.

„Vormund?“ Gawain Robards hielt acht Uhr in der Frühe plötzlich für eine gute Zeit, um sich einen Scotch zu genehmigen. „Ach du meine Güte … Und Sie, Mr. Weasley, möchten nun was tun?“
„Ich hätte gern von offizieller Seite Rückendeckung, wenn ich Mr. und Mrs. Malfoy die traurige Botschaft übermittle, dass ihr Sohn den Unfall überlebt hat.“
„Traurige Botschaft?“
„Für mich schon.“
„Mr. Weasley, bleiben Sie ernst, denn wie es aussieht, handelt es sich um eine Angelegenheit, mit der man nicht spaßen sollte. Mr. Potter ist jetzt wo zu erreichen?“
„Er ist in Frankreich bei meinem Bruder Bill und seiner Familie.“
„Hat er einen Bericht geschrieben?“
Genau den hatte Harry gestern Abend noch Ron durchs Flohnetzwerk zukommen lassen. „Hier, Sir.“

Aufmerksam las Robards den Bericht von Auror Potter und sichtete die sorgfältig ausgefüllten Standard-Formulare. Eines davon war der Antrag darauf, einen Fall im Ausland verfolgen zu dürfen, was Robards mit der Aurorenzentrale in Paris regeln müsste. Es würde sicherlich kein Problem geben.

„Mr. Malfoy junior liegt in welchem Krankenhaus?“, fragte Robards.
„Direkt in Paris, Sir.“
„Gut, sagen Sie Mr. Potter, er soll mich so schnell wie möglich anflohen. Es gibt einige Dinge, die ich mit ihm persönlich kären muss. Und Sie, Mr. Weasley, können gern im Auftrag der Aurorenzentrale zu den Malfoys gehen und ihnen den Fall knapp schildern. Halten Sie sich mit Vermutungen zurück. Weisen Sie bitte deutlich darauf hin, dass das Ministerium sich sofort melden wird, wenn wir nähere Angaben haben. Und bleiben Sie stets freundlich.“ Robards lächelte einseitig, was Ron mit einem Male an seinen ehemaligen Zaubertränkelehrer erinnerte. „Die Malfoys sorgen regelmäßig mit Spenden dafür, dass wir zwanzig Prozent mehr Ausbildungsplätze für Auroren anbieten können.“
„Diese finanzielle Großzügigkeit kommt ein bisschen spät“, wetterte Ron, der durch die Wärme an seinem Hals bemerkte, dass er vor lauter Wut jeden Moment im Gesicht eine Farbe annehmen würde, die den Rotkappen Konkurrenz machen könnte. „Zu Zeiten Voldemorts sah das politische Engagement der Malfoys noch ein bisschen anders …“
„Nun gehen Sie schon“, unterbrach Robards. „Und seien Sie den beiden gegenüber höflich.“
Ron nickte und flüsterte dabei: „Ich werd‘s versuchen.“

Das Herrenhaus der Familie Malfoy lag abseits der großen Städte in einer ländlichen Gegend – gut geschützt vor neugierigen Muggelaugen und noch besser geschützt vor dem eigenen Volk: den rachsüchtigen Hexen und Zauberern, denen die zwar wohlhabende, aber nicht mehr sonderlich einflussreiche Familie noch immer ein Dorn im Auge war. Ron apparierte nicht direkt vor das Tor, sondern mindestens zwanzig Meter entfernt. Sicher war sicher. Mit einigen Zaubersprüchen prüfte er, ob es Abwehrmechanismen am Eingang gab, auf die er achten müsste. Allein um das Tor passieren zu können, musste Ron drei magische Sicherheitsbarrieren überwinden, die ihn zwar nicht aufhalten, dafür aber den Eigentümern ankündigen sollten. Lange bevor er die Veranda erreicht hatte, wusste man von seiner Anwesenheit auf dem Grundstück. Die Tür öffnete sich in dem Moment, da er die Hand hob um zu klopfen. Ron rechnete im ersten Augenblick fest mit einem Hauself, doch dann blickte er ins fahle Gesicht von Mrs. Malfoy. Sie war schön anzusehen, aber nur bis zu dem Moment, in dem sie Ron erkannte und begann, die Nase zu rümpfen.

„Mrs. Malfoy“, Ron nickte zur Begrüßung, „Sie erinnern sich bestimmt noch an mich. Ich bin mit Ihrem Sohn zur Schule gegangen. Ronald Weasley, Auror.“ Und er war stolz drauf, wartete aber nicht ab, bis sie ihn grüßte, denn das würde sowieso nicht passieren. „Ich habe schlechte Neuigkeiten. Es geht um Ihren Sohn.“

Nie hätte Ron gedacht, dass Mrs. Malfoy noch blasser um die Nasenspitze werden konnte, doch in diesem Moment bewies sie ihm eindrucksvoll, dass es möglich war. Sie starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an und öffnete den Mund, aber keine einzige Silbe passierte die blutarmen Lippen. Für einen Augenblick geriet Ron tatsächlich aus der Fassung, denn Mrs. Malfoy sackte unerwartet in sich zusammen.

„M'am?“ Ohne auf mögliche Abwehrmechanismen zu achten, passierte Ron die Türschwelle und kniete sich im Flur neben Mrs. Malfoy nieder, um ihren Puls zu fühlen. „M'am, bitte sehen Sie mich an. Können Sie mich hören?“ Sie verdrehte die Augen, bevor sie sie schloss. „Mrs. Malfoy …“ Unbeholfen versuchte Ron, der Frau mit den Händen ein wenig Luft zuzufächeln. Was kam bei einem Erste-Hilfe-Zauber noch mal zu allererst?
Von der Treppe her hörte man eine dunkle Stimme fragen: „Wer war an der …?“

Die Männerstimme verstummte auf der Stelle. Ron sah gerade noch rechtzeitig, wie Lucius Malfoy auf ihn zustürmte, dabei den Zauberstab aus seinem Gehstock riss, um ihn augenblicklich auf den vermeintlichen Eindringling zu richten. Einen wortlosen Fluch konnte Ron dank seiner flinken Reaktion mit dem eigenen Stab abwehren. Einen zweiten Fluch wehrte er ebenfalls ab, bevor er seinen Stab auf Malfoy richtete.

„Mr. Malfoy, senken Sie auf der Stelle den Stab!“, forderte Ron mit fester Stimme. Ein Expelliarmus hätte diese Situation nur noch schlimmer gemacht, dachte Ron. Als erfahrener Auror mit viel Menschenkenntnis konnte er sehen, dass Malfoys Sorge allein seiner Frau galt. „Mr. Malfoy, ich darf Sie daran erinnern“, begann Ron mit ruhiger Stimme, „dass es Ihnen laut Gamot-Verfügung nicht gestattet ist, den Stab auf einen Menschen zu richten.“ Im absoluten Notfall dürfte Malfoy es, aber das hier war nur eine fehlgedeutete Situation. Um das zu veranschaulichen, senkte Ron seinen Stab in der Hoffnung, Malfoy würde seinem Beispiel folgen. Es funktionierte. Tief im Innern wollte Lucius Malfoy keinerlei Ärger mehr haben, schon gar nicht mit einem Auror. Es lag an der Situation, die er hier vorgefunden hatte und nicht einschätzen konnte.

Das Stöhnen, das von der am Boden liegenden Frau zu vernehmen war, lenkte Lucius von dem ungebetenen Auror ab. Er eilte zu ihr und ging vor ihr in die Knie. Ron sah dabei zu, wie Lucius Malfoy seiner Frau mit ungeahnter Zärtlichkeit dabei half aufzustehen.

„Was hat er dir angetan, meine Teure?“, fragte Lucius besorgt.
Ron verteidigte sich erbost: „Ich habe gar nichts getan!“
Als die eben noch schwächliche Dame wieder Kraft fand, richtete sie sofort das Wort an Ron: „Was ist mit Draco?“
Aufmerksam blickte Lucius zu dem Weasley-Spross hinüber, als der antwortete: „Ich bin hier, um Ihnen beiden mitzuteilen, dass Ihr Sohn Draco Malfoy einen Unfall in Saudi-Arabien hatte. Er liegt momentan in einem Krankenhaus in Paris, wo man sich um seine Verletzungen kümmert.“

Der Blick von Lucius ging fahrig hin und her, als er nachdachte und am Ende die gesamte Situation begriff. Er schluckte kräftig, als er das Wort an den Auror richtete.

„Was genau ist passiert?“, wollte Lucius wissen.
„Das wird noch untersucht, Mr. Malfoy. Wenn wir Näheres wissen, werden wir Ihnen …“
Narzissa ließ ihn nicht aussprechen und fragte mit zarter Stimme: „Wann ist das geschehen?“
„Der Unfall? Vorgestern. Gestern wurde Ihr Sohn nach Frankreich überführt.“
Lucius Malfoy atmete einmal tief durch. „Wie geht es ihm?“
„Zu Dracos Zustand kann ich nicht viel sagen, tut mir leid.“ Aus einer Tasche seines Umhangs zog Ron einen Zettel, auf dem Hermine ihm alles Notwendige wie die Stationsnummer und den Namen des behandelnden Heilers notiert hatte, was sie Harrys ausgefüllten Formularen entnehmen konnte. „Hier ist die Anschrift des Krankenhauses.“
Lucius nahm den Zettel entgegen, warf einen kurzen Blick darauf und bedankte sich mit einem zurückhaltenden Nicken, das man auch leicht hätte übersehen können. „Wer ist der Ansprechpartner? Sind …?“ Lucius betrachtete Ron geringschätzig von oben bis unten. „Sind Sie das etwa?“
„Nein, Sir. Wie es aussieht, wird ein anderer Auror den Fall übernehmen, und zwar derjenige, der Draco überhaupt erst gefunden hat.“
„Und das wäre …?“
„Harry Potter.“

Die Antwort hatte gesessen, dachte Ron hämisch, als er Zeuge wurde, wie bei Lucius Malfoy sämtliche Gesichtszüge entgleisten. Man könnte es als schlimmstes Zugunglück in der Geschichte der Menschheit bezeichnen.

Während Ron wieder nach Hause apparierte, um den Rest des Wochenendes mit seiner Familie zu verbringen, war Harry gerade erst dabei, die Augen zu öffnen. Einige Male war er kurz wach geworden und hatte Stimmen gehört. Teddy und Victoire. Man hatte ihn jedoch schlafen lassen. Es war ein wunderbares Gefühl, so erholt aufzuwachen. Harry drehte sich auf den Rücken und streckte sich. Erst da spürte er an der einen oder anderen Stelle einen Muskelkater. Als er an den gestrigen Tag dachte, schloss er die Augen und legte beide Hände über das Gesicht, bevor er leise seufzte. Die Erholung war wie weggewischt, als er sich ins Gedächtnis rief, was er erlebt hatte und wie viel Arbeit auf ihn wartete. Sicherlich wollte Robards mit ihm sprechen. Bei Ron wollte er sich erkundigen, wie die Malfoys die Nachricht aufgenommen hatten. Er hatte zudem vor, Draco im Krankenhaus zu besuchen.

„Nur der frühe Vogel fängt den Wurm“, sagte Harry zu sich selbst, als er sich aufsetzte und sich mit einer Hand an der Stelle am rechten Becken kratzte, wo das Gummiband der Unterhose saß. Jetzt kam die Uhr auf dem Tisch ins Sichtfeld. Es war schon Mittag durch.

Frische Kleidung nahm er aus seinem Koffer. Mit einer Hose bekleidet verließ er barfuß und mit einem Shirt in der Hand das Zimmer. Aus der Küche vernahm er das Geräusch von Töpfen, die bewegt wurden. Er zog das Shirt über und warf einen Blick in den Raum, aus dem es angenehm nach Essen duftete. Überraschenderweise war es nicht Fleur, die kochte.

„Guten Morgen, Bill!“
Sofort drehte sich Bill zur Tür und grüßte mit breitem Lächeln: „Hi, Harry. Gut geschlafen?“
„Wie ein Baby.“
„Das glaube ich dir. – Isst du gern Fisch?“ Bill schnitt grätenfreie Fischfilets in kleine Stücke.
„Klar.“ Harry kam einige Schritte in die Küche hinein und sah erst jetzt auf dem Fußboden einen kleinen Jungen inmitten von verschiedenstem Spielzeug sitzen. „Du musst der kleine Louis sein.“ Bei der Nennung seines Namens schaute der Junge hoch, doch er kannte den Mann nicht und blickte ihn deshalb einen Moment lang skeptisch an, bis er sich wieder der Indianer-Figur in seiner linken Hand widmete, die mit einer viermal so großen Barbie in der rechten Hand anzubändeln schien. „Wie alt ist er jetzt?“ In Gedanken rechnete Harry selbst nach, doch Bill war mit der Antwort schneller.
„Acht Monate.“
Der Fisch landete in einem Topf voller Gemüse. Harrys Magen reagierte auf das leckere Essen mit einem Knurren, was er peinlich berührt sofort mit einer Frage überspielen wollte. „Spricht er schon ein paar Wörter?“
„Nein, noch nicht. Das geht aber sicher bald los. Die beiden Mädchen beziehen ihn so oft ein, ihm bleibt gar nichts anderes übrig, als schnell sprechen zu lernen, wenn auch nur, um ihnen zu sagen, dass er mal alleine spielen möchte. So wie jetzt.“ In der Küche schien sich Bill bestens auszukennen. „Victoire zeigt Teddy übrigens die Stadt. Sie sind gleich nach dem Frühstück los.“ Bevor Harry meckern konnte, fügte Bill schnell hinzu: „Keine Sorge, Fleur und Dominique durften mit.“ Bill grinste. „Fleur musste versprechen, sich nicht einzumischen, wenn es um die Orte geht, die Vicky ihm zeigen möchte. Sie müssten aber jede Minute kommen.“ Seine letzte Anmerkung unterstrich er, indem er die Flamme unter dem Fischgemüseeintopf klein stellte. Bill hielt seinem Gast ein Körbchen mit Weißbrotscheiben hin. „Stück Brot?“ Weil für Harry das Frühstück ausgefallen war, nahm er, vertretend für seinen Magen, dankend an.

Das Stück Brot hatte Harry gerade verputzt, da kam Fleur bereits mit den Kindern zurück. Teddy und Victoire hatten sich offensichtlich prächtig amüsiert, denn trotz ihrer schmutzigen Kleidung – Wir sind auf einen Baum geklettert! – und ihrer frischen Schrammen – Teddy hat’s am höchsten geschafft und dann sind wir runtergefallen. – strahlten beide übers ganze Gesicht. Fleur hatte nichts tun können, erklärte sie. Die Kinder hätten nicht auf sie gehört und der Park war voll mit Muggeln gewesen, sodass Magie nicht angewendet werden durfte. So mussten Ted und Victoire am eigenen Leib erfahren, was Ungehorsam gepaart mit Übermut zur Folge haben konnte. Zum Glück war nichts Schlimmes passiert.

Nach dem Essen kam die Arbeit, was Harry schwerfiel, denn er hätte lieber mit den Kindern Zeit verbracht oder sich mit Fleur und Bill unterhalten. Harry flohte erst seinen besten Freund an und erkundigte sich nach Neuigkeiten. Die Reaktion der Malfoys überraschte Harry ebenso wenig, wie der Wunsch seines Chefs, so schnell wie möglich bei ihm vorstellig zu werden. Innerlich hatte Harry sich schon darauf vorbereitet. Teddy war bei den Weasleys gut aufgehoben, sodass er sich die drei Beweisstücke – Wimper, Haare und Buch sowie das angekokelte Stück Weißdornholz – einsteckte, bevor er nach kurzfristiger Ankündigung ins Büro seines Vorgesetzten flohte.

„Ah, guten Tag, Mr. Potter, ich habe Sie erwartet. Mr. Weasley hat mich heute Morgen bereits über das Wichtigste informiert, aber ich brenne darauf, alles von Ihnen zu hören.“ Robards schaute in eine Akte. „Ihren Bericht habe ich gelesen. Sie schrieben dort von möglichen Hinweisen auf einen oder die Täter?“
„Ja, Sir. Eine schwarze Wimper im Bad des Hotelzimmers. Ich bin mir im Klaren darüber, dass die jedem gehören könnte.“ Harry erinnerte sich an die Putzkolonne, auf die er im Flur getroffen war. Durchweg alle hatten schwarze Haare gehabt. „Ich weiß nicht, ob das tatsächlich was Handfestes ist, aber ich hab sie mitgenommen, genau wie die Haare, die vermutlich dem Opfer selbst gehören.“ Beide Gegenstände überreichte Harry ordnungsgemäß in Plastiktüten verpackt an seinen Chef.
Robards legte die Tüten auf seinen Tisch und blickte Harry an. „Sie erwähnten, Sie hätten den Dokumentationszauber ausgeführt, um in einem brenzligen Moment ein Foto von dem Mann aufzunehmen, der auf sie geschossen hat?“
„Ach ja …“ Verdammt!

Aus einem Schrank in der Nähe holte Robards ein weißes glänzendes Papier, das wie das Fotopapier von Muggeln aussah. Er legte den Stapel von vielleicht zehn Blatt auf seinen Tisch direkt vor Harry.

„Ihren Stab bitte.“
Harry zog seinen Stab, zögerte jedoch. „Äh, Sir …?“
„Mr. Potter, bitte, ich habe nicht ewig Zeit. Her mit Ihrem Stab.“

Er entriss Harry den Stab und legte dessen Spitze leicht an Harrys Schläfe, bevor er mit dem eigenen Stab einen Zauberspruch murmelte. Gleich darauf platzierte er Harrys Stab neben das Fotopapier. Mit dem eigenen Stab und einem weiteren Zauberspruch tippte er erst auf Harrys Stab, dann auf das Papier. Die Entwicklung begann. Die ersten Bilder, die sich den beiden offenbarten, zeigten Teddy – mit den Pyramiden im Hintergrund. Robards schwieg. Der Leiter der Auroren machte eine Handbewegung in Richtung Fotos. Schon begannen diese sich im Dreisekundentakt umzublättern. Teddy bei einem Souvenirstand, Teddy beim Essen im Hotelrestaurant, Teddy beim Schwimmen, Teddy auf einem unglaublich großen Kamel …

Robards schaute zu Harry hinüber, der daraufhin nervös erklärt: „Das Kamel hieß Monster.“ Sein Chef hob eine Augenbraue.

Weil die ersten zehn Bilder nur Urlaubsmotive enthielten, ließ Robards mit einem Accio einen frischen Packen Fotopapier an den Schreibtisch kommen. Die in Harrys Stab zwischengespeicherten Fotos machten dort weiter, wo sie zuvor aufgehört hatten. Weitere Urlaubsbilder kamen zum Vorschein. Auf den meisten war Teddy zu sehen, nur zufällig auch mal Harry in einer Spiegelung.

„Ah, Sie waren tauchen?“, fragte Robards nebenher, um ihm die Situation noch ein bisschen peinlicher zu machen. Es war absolut tabu, den Dokumentationszauber für private Zwecke zu nutzen. Das könnte eine Abmahnung nach sich ziehen oder eine Gehaltseinbuße. Hoffentlich würde man ihn nicht zu einem Bürohengst machen. Harry schaute sich die Bilder an und er wusste, was chronologisch nach dem Tauchen kam. Mit zwei Fingern zog Robards das Bild von einem nackten Elias heraus, der sich gerade auf dem Schiffsdeck umzog. Er hielt es Harry entgegen und fragte mit todernster Miene: „Ein Verdächtiger?“
Harry fühlte, wie seine Wangen glühten. „Sir, das tut mir furchtbar …“
„Ah, ah, ah!“

Damit verbot er Harry jeglichen Kommentar. Erst sollten die Fotos fertig sein. Das waren sie nach einem weiteren 100er-Packen. Und endlich kam auch, ganz zu Letzt, das Foto von dem tatsächlichen Verdächtigen, der auf Harry geschossen hatte. Dieses Foto betrachtete Robards sehr genau, während Harry auf den Stapel Urlaubsfotos schaute und sich fragte, wie er 209 Bilder hatte schießen können, ohne es zu merken.

„Damit kann man doch schon mal was anfangen“, sagte sein Chef erfreut. Über die anderen Bilder verlor er kein Wort. „Sie schrieben, Sie hätten womöglich Mr. Malfoys Zauberstab gefunden.“
„Na ja, zumindest die Reste davon.“ Das Stück Holz, das er seinem Chef in einer Plastiktüte überreichte, war nicht mehr als Zauberstab zu erkennen.
„Gut, ich werde veranlassen, dass der Stab geprüft wird. Vielleicht finden sich noch Hinweise darauf, welche Sprüche zuletzt damit aufgesagt wurden.“ Die Tüte mit dem Stab bekam von Robards einen Aufkleber verpasst, weil dieser Gegenstand nicht intern geprüft, sondern durch einen Außendienstmitarbeiter sehr wahrscheinlich zu einem Zauberstab-Hersteller gebracht werden würde. „Sie sagten außerdem etwas von einem Buch.“
„Ja, Sir, dieses hier.“ Es handelte sich um die Schwarte mit der seltsamen Schrift, die Harry vergrößerte und dem Chef auf den Schreibtisch legte. „Ich werde nicht schlau draus.“
Gawain Robards schaute sich zunächst den Umschlag des Buches an, blätterte dann darin herum, bevor er es wieder zuschlug. „Das Buch zählt vorerst nicht zu den Dingen, die wir großartig untersuchen könnten. Sie haben es wo gefunden?“ Robards fand die entsprechende Stelle in Harrys Bericht auf Anhieb. „Im Hotelzimmer hinter dem Kopfende des Bettes versteckt.“
„Ja, Sir. Das war komisch. Nur deshalb habe ich es überhaupt erwähnt.“
„Womöglich handelt es sich um heiße Ware?“, mutmaßte Robards. „Die Schrift sagt mir gar nichts. Ist das Elfisch?“
„Keine Ahnung, Sir?“ Harry konnte nicht mal mit Sicherheit sagen, ob Hauselfen neben ihrer seltsam klingenden Sprache auch eine eigene Schrift hatten.
„Mmmh“, machte Robards nachdenklich. „Das ist definitiv keine Kobold-Schrift, das weiß ich hundertprozentig.“ Das Buch schlug Robards wieder zu und überreichte es Harry. „Gehen Sie doch bitte mal in den Vierten zu Miss Parrish.“
„Ja, Sir.“ Harry nahm das Buch entgegen und eilte so schnell wie möglich zur Tür, doch bevor er gehen konnte, richtete Robards noch einmal das Wort an ihn.
„Ach und Mr. Potter?“
„Ja?“
Während Robards auf Harry zuging, verstaute er die verkleinerten Urlaubsfotos in einem großen Umschlag. Diesen gab er Harry mit den Worten: „Das wird nie wieder vorkommen.“
„Ja, Sir.“
„Und nun ab zu Miss Parrish.“

Im vierten Stock befand sich die Abteilung zur Führung und Aufsicht Magischer Geschöpfe. Die genannte Miss Parrish hatte das Sagen in der untergeordneten Zauberwesenbehörde. Harry war sofort klar, warum Robards ihn an Miss Parrish verwiesen hatte. Dank des Zaubereiministers Kingsley Shacklebolt war die Abteilung so umstrukturiert worden, dass man mit den Tierwesen zusammenarbeitete, anstatt über sie zu bestimmen. Tierwesen waren für Miss Parrish das, was Muggel für Arthur Weasley waren. Nur mit dem Unterschied, dass Miss Parrish sich sehr gut in den anderen sozialen Strukturen auskannte. Sie beherrschte die Koboldsprache in Wort und Schrift. Eines Tages, da waren Ron und er noch in der Ausbildung gewesen, hatte Ron gedacht, dass Miss Parrish keine Luft mehr bekommen würde, weil sie würgte, röchelte und manchmal krächzte. Er hatte schon das Heimlich-Manöver durchführen wollen, war jedoch von Harry davon abgehalten worden, dem schnell klar war, dass die Dame sich nur köstlich mit ihrem Kollegen, einem Kobold, unterhalten hatte – in dessen Sprache. Das angenehm ruhige Wesen von Miss Parrish wurde von vielen gemocht. Leute wie die Malfoys würden sie sicherlich als Abschaum bezeichnen. Harry fühlte sich jedoch wohl in ihrer Nähe. Die dunkelhaarige Frau war in demselben Alter, in welchem seine Mutter jetzt gewesen wäre. Sie teilten sich zwar das Geburtsjahr, aber nicht das Haus. Der Vorname von Miss Parrish schien, wie bei vielen anderen auch, wegweisend für ihre Laufbahn gewesen zu sein, denn sie hieß Prudence. Mit der Klugheit im Namen war Ravenclaw ihre Vorbestimmung gewesen. Prudence Parrish müsste Harry sagen können, ob es sich bei der Schrift in dem Buch um die Sprache eines Tierwesens handelte.

Harry klopfte an die Bürotür der Leiterin der Zauberwesenbehörde. Nachdem er ein fröhlich geträllertes Herein vernommen hatte – Harry fragte sich, wie man an einem Samstagnachmittag während der Arbeit so gute Laune haben konnte – betrat er das Büro.

Ihre Stimme behielt den Singsang bei: „Mr. Potter, was für eine Freude!“ Die gute Laune war nicht vorgetäuscht. Harry erkannte so etwas meistens an den Augen, und die von Miss Parrish lächelten mit.
„Guten Tag, Miss Parrish. Ich hoffe, ich störe Sie nicht.“
„Sie doch nicht! Kommen Sie her, setzen Sie sich.“ Aufmerksam wuselte Miss Parrish um Harry herum, schob ihn zum gut gepolsterten Stuhl und drückte ihn sanft hinein. „Möchten Sie einen Kaffee? Nein, es ist zu spät für Kaffee. Dann lieber Kürbissaft? Ich liebe Kürbissaft. Ich habe aber auch Tee da.“
Die Frau war ein wenig hyperaktiv, dachte Harry. „Ich bin nicht durstig, vielen Dank.“ Die Ablehnung tat der guten Stimmung keinen Abbruch. „Ich frage mich, ob Sie mir vielleicht helfen können.“ Harry legte das Buch auf ihren Schreibtisch. Miss Parrish setzte sich eine Brille auf und betrachtete den Umschlag, während sie Harry weiterhin zuhörte. „Die Sprache ist uns nicht bekannt. Mr. Robards sagte, es wäre keine Koboldsprache.“
Miss Parrish blickte kurz zu Harry auf, bevor sie das Buch öffnete und nach einem Blick bestätigte: „Damit hat Mr. Robards Recht.“
„Wissen Sie vielleicht, um welche Sprache es sich handelt?“

Es war witzig, Miss Parrish dabei zu beobachten, wie sie die Schrift, aber auch die Bilder inspizierte. Sie legte dabei manchmal den Kopf schräg und kniff die Augen zusammen, was Harry an Hermine erinnerte. Nur dass Hermine manchmal auch die Unterlippe in den Mund sog und an ihr … Hah! Miss Parrish machte genau das in diesem Augenblick! Allerdings folgte dem kurzen Knabbern an der Unterlippe ein erst zaghaftes Kopfschütteln, das nach weiteren umgeschlagenen Seiten immer bestimmter wurde. Die Antwort war für Harry klar, bevor Miss Parrish sie ihm gab.

„Das ist weder Kobold- noch Elfen-, Zwergen oder Zentaurensprache, Mr. Potter. Ich bin mir sogar sicher, dass es sich nicht um die seltene Schrift der Wassermenschen handelt. Das hier“, sie schloss das Buch und legte eine Hand darauf, „habe ich noch nie in meinem Leben gesehen.“

Und das will was heißen, dachte Harry. Miss Parrish war eine der gebildetsten Frauen, die er kannte, wenn es um das Thema Sprachen von Tier- und Zauberwesen ging. Sie konnte sogar die Grunzlaute von Trollen und Oger korrekt deuten und nachahmen.

„Nur im allerersten Moment sieht es aus wie eine surreale Mischung aus der Veela- und der Dementoren-Schrift, aber bei genauerer Betrachtung passt nichts zusammen“, erklärte Miss Parrish.
„Dementoren können schrei…?“
„Sie tun es nur ganz selten“, fiel sie ihm ins Wort. Dieses Thema war ihr offensichtlich unangenehm.

Die Veela, das wusste Harry, zählten genau genommen zu den Zauberwesen, doch da sie nicht nur mit den Menschen kooperierten, sondern auch mit ihnen kopulierten, wurden in der Praxis nie Unterschiede zwischen Mensch und Veela gemacht. Durch Fleurs Familie hatte Harry sogar schon Bekanntschaft mit der ganz eigenen Sprache und Handschrift dieser feengleichen Frauen gemacht. Die Sprache gab einem Mann, der dem betörenden Aussehen der Veela gerade noch so widerstehen konnte, den Rest. Die Schrift hingegen glich mit einer Mischung aus westlicher Kalligrafie und chinesischer Grasschrift sehr dem, was Menschen zu Pergament brachten. Mit Sicherheit konnte Harry sagen, dass es sich in dem Buch nicht um Veela-Schriftzeichen handelte.

„Haben Sie irgendeine Idee?“, fragte Harry hoffnungsvoll.
Miss Parrish presste einen Augenblick lang die Lippen zusammen, bevor sie riet: „Gehen Sie doch mal in den Neunten.“ Weil Harry seufzte, fügte sie zuversichtlich lächelnd hinzu: „TaLyBa ist heute da.“

Im Flur seufzte Harry nochmals. Ein weiteres Mal, als er vor dem Fahrstuhl stand und überlegte, ob er wirklich in den neunten Stock fahren sollte. Er hatte absolut keine Lust auf die Mysteriumsabteilung. Normalerweise benötigte er mindestens einen halben Tag, um sich innerlich auf einen Besuch bei den Unsäglichen vorzubereiten. Miss Parrish hatte Harry beruhigen wollen, als sie ihm sagte, wer heute dort anzutreffen wäre. TaLyBa war noch die umgänglichste Person und das, obwohl der Mann nicht nur einen Schatten hatte, sondern diesem sogar einen Namen gegeben hatte: Parts Per Million. Diese wissenschaftliche Bezeichnung für den millionsten Teil war der Name eines imaginären Wesens, das TaLyBa als armlangen und allgegenwärtigen Tausendfüßler beschrieb.

Das fand Harry gruselig. Das und die Tatsache, dass über neunzig Prozent der Unsäglichen lediglich mit Namenskürzeln angesprochen wurden, um ihre Identität zu wahren. Sie standen nicht einmal auf der Gehaltsliste des Ministeriums mit ihrem richtigen Namen. Als Mitarbeiter der Mysteriumsabteilung wurde man, das glaubten zumindest Ron und Harry, zwangsweise irgendwann seltsam, wenn man es nicht vorher bereits gewesen war. Die damalige Angst vor Voldemort und seinen Schergen hatte dafür gesorgt, dass viele der Unsäglichen ihre echte Identität komplett aufgegeben hatten, um ihre Familien zu schützen. Verliese bei Gringotts wurden dann eben nicht mit echten Namen wie Trond Finn oder George Hamill eröffnet, sondern mit den aus den Anfangsbuchstaben neu zusammengesetzten Namen TroFi und GeHa.

Nach unzähligen weiteren Seufzern fasste Harry den Entschluss, bei TaLyBa nachzufragen, ob er etwas mit dem Buch und dessen Inhalt anfangen konnte. Harry bezweifelte, dass die neunzig Sekunden Fahrt mit dem Fahrstuhl dafür ausreichen würden, sich auf die Gespräche mit imaginären Kreaturen vorzubereiten.

Die Fahrstuhltür öffnete sich im neunten Stock. Es war gespenstisch still. Harry schaute zuerst auf den Gang, ohne aus dem Fahrstuhl zu treten, und blickte nach rechts und links. Dort hinten war er, der nicht beschriftete Eingang. Normalerweise waren Büros und Gänge mit magischen Fenstern ausgestattet, die von der Zauberei-Zentralverwaltung angebracht und gewartet wurden. Hier im Neunten war das anders. Keine magischen Fenster. Keine Fenster, keine Wartung. Die Anzahl derjenigen, die sich hier aufhalten müssen, sollte so gering wie nur möglich gehalten werden. Selbst die Nachfragen von der Aurorenzentrale waren nicht immer willkommen. Harry verließ den Fahrstuhl und ging auf die unscheinbare, rotbraune Tür zu. Sein Schritt wurde immer langsamer, aber das wurde er immer, wenn er den Unsäglichen hier unten einen Besuch abstattete. Entweder war es Harrys Ehrfurcht vor all den unglaublichen Dingen, die hier erforscht wurden und geschehen konnten, oder aber es war ein ihm unbekannter Zauberspruch, der dem eines schwachen Abwehrzaubers glich und dem Gast suggerieren sollte, dass er unerwünscht war. Wurde der Flur immer länger? Nein, das bildete er sich bestimmt nur ein. Das hoffte er zumindest. Die Hälfte des Ganges war geschafft, da fing das magische Tageslicht mit einem Male an zu flackern. In den Momenten, in denen es dunkel war, konnte Harry nicht einmal die eigene Hand vor Augen sehen. An. Aus. An. Harry war fast da. Nur noch wenige Schritte. Das Licht flackerte immer schneller. An. Aus. An. Aus. An. Aus …

Als er an der Tür angekommen war, hatte das magische Licht den Dienst komplett verweigert. „Na klasse!“ Harry tastete nach seinem Stab und zog ihn, um einen Lumos zu sprechen. Kaum hatte er das getan, blickte er in ein fahles Gesicht mit eingefallenen Wangen, kleinen schwarzen Augen und so schmalen Lippen, dass man glauben könnte, sie wären gar nicht vorhanden. Ohne ihn aufhalten zu können entwich Harry ein kurzer Schrei.
„Scht!“, zischte TaLyBa ihn an, bevor der Mann im Schein von Harrys Stab in den Flur ging und an die Wand trat. Das Licht war auf der Stelle wieder da. „Die Decke, sage ich“, begann TaLyBa zu nuscheln, während er sich seinen weißen Kittel zurechtzupfte. „Die Decke sollen sie nehmen, aber nein, die verzaubern die Wände. Was für ein Unfug! Licht gehört an die Decke.“ TaLyBa winkte Harry zu sich heran, blickte ihm aber nicht in die Augen. „An die Decke gehört’s, Parts Per Million ist derselben Meinung.“

Wie wunderbar, dachte Harry. Der imaginäre Tausendfüßler wurde schon im fünften Satz erwähnt. Na, das konnte ja heiter werden.

„Mr. TaLyBa, ich habe da eine Fr…“
„Licht! Hier ist Licht“, erklärte der Unsägliche ganz richtig. Im Vorraum der Mysteriumsabteilung, in den Harry geführt worden war, leuchtete Licht. Eine Menge Licht. Es wurde immer heller und war bald so grell, dass Harry den Unterarm vor die Augen halten musste. Wie vorhin schon konnte Harry auch jetzt nicht die Hand vor Augen sehen, diesmal war jedoch nicht die Dunkelheit daran schuld. Das Gegenteil war der Fall.
„Ich kann nichts sehen!“, meckerte Harry.
„Wie wäre es mit Nox?“, schlug der Unsägliche vor.
Tatsächlich hatte Harry seinen Lumos noch nicht beendet, was er nun mit dem entsprechenden Befehl nachholte. Die Helligkeit im Raum pendelte sich schnell auf einem normalen Niveau ein. Harry verkniff es sich zu fragen, warum das so war, denn er wollte seinen Besuch nicht unnötig verlängern. „Mr. TaLyBa …“
„Ohne Mister, Mr. Potter.“ TaLyBas Kopf schnellte herum. Der Unsägliche schaute auf einen Fleck am Boden und murmelte: „Harry Potter ist das … Potter! – Doch, von dem habe ich dir erzählt, ganz bestimmt. – Weiß ich doch nicht, warum er dich nicht grüßt. Weil du zu aufdringlich bist? – Ach, sei einfach still!“
„TaLyBa, bitte, meine Zeit ist begrenzt und …“
Der Mann drehte sich auf den Hacken zu Harry herum und starrte ihn durch die kleinen Augen eindringlich an. „Begrenzte Zeit? Sie Armer! Dagegen kann ich etwas unternehmen. Was brauchen Sie? Eine Stunde? Einen ganzen Tag? Bekommen Sie, bekommen Sie … Wenn Sie mir bitte folgen möchten?“

Alles, was nicht zu Harrys Recherche bezüglich des Buches gehörte, musste er ignorieren, sonst würde er die Mysteriumsabteilung nie wieder verlassen. Aber es war schon verdammt verlockend, wenn jemand einem aus purer Freundlichkeit einen ganzen Tag anbot – vor allem jemand, bei dem man davon ausgehen konnte, dass er keine leeren Versprechungen machte. Den Raum der Zeit gab es bestimmt nicht nur aus Jux und Tollerei. Bevor sich Harry jedoch in Gespräche vertiefen würde, die ihn an die Grenzen seiner intellektuellen Belastbarkeit brachten, sprach er Tacheles. Er vergrößerte das Buch und legte es auf einen der weißen Tische.

„Können Sie mir etwas über das Buch sagen?“, fragte Harry. Gerade wollte TaLyBa den Mund öffnen, da hob Harry einen Finger und bat damit um Gehör. „Und bevor Sie mir Dinge nennen, die selbstverständlich sind wie Ein Buch ist zum Lesen da oder Es hat Seiten, Schrift und manchmal auch Bilder, möchte ich Sie bitten, sich für einen Moment in den Zustand zu versetzen, in dem Sie waren, bevor Sie hier in der Mysteriumsabteilung angefangen haben zu arbeiten.“ Der Unsägliche wollte etwas sagen, doch Harry war noch nicht fertig. „Ich meine es ernst, TaLyBa: Denken Sie daran, wie Sie gleich nach dem Schulabschluss auf diese Frage geantwortet hätten. Keine Zweideutigkeiten, keine Ablenkung, keine Haarspaltereien und vor allem keine tiefenpsychologische Analyse von und zu allem, was ich sage, verstanden? Meine Fragen meine ich genau so, wie ich sie stelle. Also“, Harry tippte mit einem Finger auf den Buchdeckel, „können Sie mir etwas über dieses Buch sagen?“

TaLyBa blinzelte so schnell, dass Harry allein beim Hinsehen schwindelig wurde. Es tat ihm leid, dass er mit dem Unsäglichen so hart ins Gericht gegangen war, doch er hielt es für erforderlich, den Mann gleich an die kurze Leine zu nehmen, anstatt viel zu spät wie ein Irrer zu versuchen, auf das Bremspedal zu treten, denn das hatte bisher nie funktioniert. Einen Unsäglichen, dessen Gehirn erst mal auf Hochtouren lief, konnte man nicht mehr stoppen. TaLyBa schluckte einige Male kräftig. Der Mann war, so vermutete es Harry, wirklich tief verletzt. Ab und zu schaute TaLyBa neben das Buch. Harry nahm an, dass sich dort Parts Per Million aufhielt, aber TaLyBa sprach nicht mit dem Tier. Vielleicht hatte er Angst, dass Harry ihm dann etwas antun würde. Der Unsägliche näherte sich dem Tisch und legte alle Fingerbeeren auf den Buchdeckel. Es sah beinahe so aus, als würde der Mann wortlos zaubern, doch in Wirklichkeit befühlte TaLyBa nur die Struktur. Er fuhr mit den Fingerspitzen auf der Oberfläche umher und zog die Konturen des Buches nach. Als er damit fertig war, legte er die Hände rechts und links auf den Tisch und beugte sich hinunter. Harry wechselte seine Position, um sehen zu können, was TaLyBa dort machte. Der Unsägliche hatte die Augen geschlossen. Es war eindeutig: Er roch an dem Buch. Harry fragte sich gerade, was der Unsägliche damit bewirken wollte, da schoss für wenige Sekunden dessen Zunge heraus und berührte eine Ecke des Bandes.

„Hab … Habe ich mich eben versehen? Haben Sie gerade an dem Buch geleckt?“, fragte Harry verdattert.
TaLyBa richtete sich wieder auf und log seinem Gegenüber unverhohlen ins Gesicht: „Nein.“ Sofort wandte er sich wieder dem Buch zu und schlug es das erste Mal auf. „Ah!“, sagte der Mann lang gezogen, als wäre mit einem Mal die totale Erkenntnis über ihn gekommen.
„Was? Was ist?“, fragte Harry ungeduldig.
„Ach, nichts“, winkte TaLyBa mit einem Male ab.

Der Unsägliche betrachtete die erste Seite sehr lange. Das Einzige, was sich dabei bewegte, waren die Augen, die hin und her huschten. Auch Harry schaute sich die erste Seite genauer an. Hierauf befanden sich vier Absätze in der sonderbaren Schrift. Der zweite und dritte Absatz begann jeweils mit einem Buchstaben, den man als großes V mit einem waagerechten Unterstrich beschreiben könnte. Auffällig war, dass diese Buchstaben dicker gezeichnet waren und vor allem in rötlicher Farbe. Das hellbraune Pergament der Seiten, das Harry an Butterbrotpapier erinnerte, war so dünn, dass die Zeichnung auf der Hinterseite durchschien. Grünlich waren die Blätter einer gemalten Pflanze zu erkennen. TaLyBa bemerkte das ebenfalls.

„Ja, ja, ich weiß!“
Harry runzelte die Stirn. „Äh, wie bitte?“
TaLyBa richtete sich an Harry und bat höflich: „Stören Sie mich bitte nicht ständig mit Ihren Zwischenfragen.“
„Ich habe doch nur …“
Der Unsägliche beachtete Harry nicht mehr und blätterte eine Seite um, während er murmelte: „Na hör mal, ich bin doch nicht unhöflich. Er hat gesagt, er hätte keine Zeit. Geschenkt wollte er ja keine annehmen, aber jetzt meine stehlen … So was haben wir gern.“ TaLyBa blätterte noch einmal um und atmete gleich darauf tief durch. „Ja, ja, ich sehe es, ich sehe es. Ich bin ja nicht blind.“

Harry verkniff es sich, TaLyBa noch einmal zu stören. Der Unsägliche hielt sich an Harrys Forderungen, da konnte Harry es verkraften, wenn TaLyBa nebenher mit seinem Tausendfüßler sprach. Harry ließ den Mann machen und blickte sich derweil im Vorraum um, doch es gab absolut nichts zu betrachten. Weiße Wände, weiße Decke, weißer Boden, weiße Tische und Stühle und … Wo war die Tür hin, durch die sie gekommen waren? Es war ein unangenehmes Gefühl zu denken, hier unten womöglich bis in alle Ewigkeit gefangen zu sein – mit TaLyBa und seinem riesigen, sprechenden Ungeziefer, das er nicht mal sehen konnte.

„Eine Lage sind acht Blätter sind sechszehn Seiten … quaterni, quaterni“, murmelte der Unsägliche, als er bei den ersten aufklappbaren Themenbereichen angelangt war. Als Harry es wagte, laut durchzuatmen, schaute TaLyBa ihn böse durch verengte Augenlider an. Unerwartete forderte er dann: „Lassen Sie es bei mir.“
Harry fragte genauer. „Ich soll das Buch bei Ihnen lassen?“
„Ja, ich sehe es mir ausführlich an. So kann ich Ihnen später sagen, was ich herausgefunden habe.“
Ob die Idee so gut war? Harry gab sich einen Ruck. „Versprechen Sie mir bitte, nicht daran zu lecken“, bat Harry.
„Mit solchen Einschränkungen kann ich nicht arbeiten, Mr. Potter“, hielt der Unsägliche ihm entgegen. „Geschmäcker können viel verraten. Ich kann Ihnen da etwas zeigen …“ TaLyBa deutete auf eine Tür.
„Wo ist die denn plötzlich hergekommen?“
„Wollen Sie Ihre Zukunft kosten?“

So schnell konnte eine Unterhaltung mit einem Unsäglichen zum Wahnsinn führen. Harry hatte die Wahl, das Buch dem Unsäglichen anzuvertrauen, der es mit Sicherheit ordentlich behandeln würde, oder sich in ein Gespräch verwickeln zu lassen, das er am Ende bereuen würde. Harrys Entschluss stand fest.

„Behalten Sie das Buch vorerst. Es gehört nicht mir, also hüten Sie es bitte gut, TaLyBa!“
„Natürlich! Parts Per Million wird tagtäglich darauf aufpassen, nicht wahr?“ Der Unsägliche schaute auf eine leere Stelle auf dem Tisch und nickte, bevor er Harry wieder anschaute. „Er passt auf!“
„Na, da bin ich aber beruhigt …“

Harry war froh, die Mysteriumsabteilung für heute hinter sich zu lassen. Einen Tag geschenkt bekommen … Die eigene Zukunft kosten … Davon musste er sich erst einmal erholen. Die Haare, die Wimper und den verkohlten Stab, die er bei Robards gelassen hatte, würde man nächste Woche untersuchen. Schließlich war am Wochenende niemand im Ministerium, der sich damit auseinandersetzen würde. Da Harry schon hier in London war, könnte er auch schnell bei Ron und Hermine reinschauen, um das Gespräch mit TaLyBa zu verdauen.

Beide waren Zuhause. Ihre Tochter Rose verbrachte das Wochenende bei den Großeltern. Die Ruhe tat Hermine gut. Ihren Babybauch konnte man mittlerweile trotz ihrer locker sitzenden Kleidung erkennen. Das zweite Kind müsste in dreieinhalb Monaten kommen.

„Harry, möchtest du etwas essen?“, bot Hermine an.
„Nein, bleib sitzen. Ich kann sowieso nicht lange bleiben, wollte mich nur ausruhen.“
Ron runzelte die Stirn. „Wieso? Hat Robards dir das Leben schwer gemacht?“
„Fast …“ Harry erzählte von dem peinlichen Malheur mit den privaten Urlaubsfotos, doch bevor Ron sich an dem Thema festbeißen konnte, um seinen Freund damit aufzuziehen, fügte er noch hinzu: „Ich war außerdem unten in der Mysteriumsabteilung.“
„Au ...!“, machte Ron mitfühlend, als wäre er selbst körperlichem Schmerz ausgesetzt.
„TaLyBa hat sich ein Buch für mich angesehen, dass ich in Dracos Hotelzimmer gefunden habe.“
Bei dem Wort Buch wurde Hermine sofort hellhörig: „Was für eines?“
„Ich habe keine Ahnung.“
„Was für ein Thema?“, hakte Hermine nach.
„Ich meine es so, Hermine“, beteuerte Harry, „ich habe keine Ahnung. Es hat keinen Titel, nirgends steht ein Autor und die Schrift ist völlig unbekannt. Ich war sogar bei Miss Parrish. Selbst ihr sagte das Buch nichts.“
Hermines Gesicht war bewegungslos, beinahe wie aus Stein gemeißelt, als sie nachdachte, bevor sie wissen wollte: „Hast du es dabei? Ich würde gern mal einen Blick darauf werfen.“
„Nein, ich hab’s bei dem Unsäglichen gelassen.“
„Du weißt“, warf Hermine ein, „dass sie lieber Verschwiegene genannt werden wollen. Das trifft es wegen der extremen Geheimhaltung auch viel besser.“
Ron schnaufte belustigt. „Wenn es danach geht, welche Bezeichnung für die Typen treffender ist, würde ich sie die Verrückten nennen.“
„Sei nicht so, Ron“, mahnte Hermine mit neutraler Stimme.
„Ist doch aber wahr. Die meisten da unten haben einen Sprung im Kessel.“

Die Freude, dass Ron seine Begegnung mit den Malfoys noch einmal persönlich erzählen konnte, wollte Harry ihm nicht nehmen. Allein schon deshalb, weil Rons Grimassen ihn immer aufheitern konnten. Ein Blick auf die Uhr verriet Harry, dass er sich dennoch langsam wieder auf den Weg nach Frankreich und ins Krankenhaus machen sollte. Immerhin erwartete die Krankenschwester von ihm, dass er Draco besuchen würde.

Der Kamin seiner Freunde führte ihn direkt in den Eingangsbereich des Pariser Krankenhauses. Für die magische Bevölkerung gab es in der Hauptstadt nur eines. Man erklärte Harry, dass Draco die Intensivstation heute Morgen schon wieder hatte verlassen dürfen und er nun in einem Zweibettzimmer untergebracht sei, das er noch für sich allein hatte. Harry trottete einer Schwester hinterher, bis sie ihm eine Zimmernummer nannte und in eine Richtung deutete.

Die Tür stand offen. Von drinnen vernahm er eine Stimme, die nicht Draco gehörte. Harry klopfte zögerlich an und trat ein. Ein Mann mit Klemmbrett auf dem Schoß und breitem Lächeln auf den Lippen grüßte Harry. Er stellte sich als multilingualer Therapeut vor. Draco betrachtete Harry aufmerksam. Als der zu ihm schaute, nickte der Blonde einmal.

„Ich will nicht stören …“
Harry wurde unterbrochen: „Nein, Sie stören doch nicht. Wir sind gleich fertig.“
„Lassen Sie sich Zeit“, bat Harry, denn so hatte er wenigstens genug Zeit, um sich ein Gesprächsthema auszudenken.
„Wenn ich mich kurz vorstellen darf, Mr. Potter: Mein Name ist Blucas, Andy Blucas. Ich bin Heiler und Therapeut für Gedächtnisstörungen.“
„Freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, Mr. Blucas.“

Harry nahm an einem Tisch Platz und blätterte in der Zeitung, die darauf lag, doch er konnte nur die Bilder ansehen, denn Französisch beherrschte er nicht. Mit seinen Ohren war er sowieso bei den beiden Männern. Er wagte einen Blick. Draco sah kaum anders aus als gestern, doch der Blick war wacher. Beide Unterarme waren verbunden, ebenso der Kopf und ein Auge. Die Lippen waren nicht mehr so aufgesprungen wie gestern, bemerkte Harry.

Der Therapeut schaute Draco an und fragte: „An welchen Geschmack müssen Sie bei der Farbe Blau denken?“
In Gedanken machte Harry mit und dachte an Blaubeertörtchen, die es manchmal in Hogwarts zum Frühstück gegeben hatte. Doch genau genommen waren die gelbbraun. Auf die Schnelle fiel ihm nichts anderes ein, aber Draco überlegte nicht lange.
Mit unruhig flatternder, rauer Stimme antwortete der Patient: „Pflaumen.“ Gleich darauf räusperte er sich. Mit dem Sprechen hatte er ganz offensichtlich noch Probleme.
Mit seiner Feder machte Mr. Blucas eine Notiz in seinen Unterlagen, während er lobte: „Sehr gut, wirklich sehr gut. Viele Assoziationen scheinen bei Ihnen soweit uneingeschränkt zu funktionieren. Versuchen wir noch etwas. Nennen Sie mir so schnell wie möglich fünf Begriffe, die Ihnen zu folgendem Wort einfallen.“ Der Mann machte eine kurze Pause, bevor er sagte: „Tier.“
Wie aus der Pistole geschossen zählte Draco das Erste auf, an das er denken musste: „Schlange, Trankzutat, Animagus, Patronus, Essen.“
Blucas lachte. „Wie es aussieht, sind Sie kein Vegetarier. Noch einmal?“ Draco nickte, woraufhin der Mann sagte: „Welche Wörter mit dem Buchstaben S fallen Ihnen ein?“
„Schlafbohne, Schokofrosch, Slytherin, Snape, Sectumsempra.“
„Moment, Moment bitte …“ Der Mann schrieb und schrieb, bevor er wiederholte: „Snape?“
„Snape war … Das war … Ich …“ Draco hielt inne und dachte angestrengt nach, doch die Antwort wollte ihm nicht einfallen. Harry war so frei.
„Snape war unser Zaubertränkelehrer in Hogwarts.“
„Ja, ich erinnere mich an ihn. Das ist interessant“, sagte Blucas und notierte sich etwas. „Es scheint, als wären wir gerade eben an eine Zeitlinie gestoßen, in der die Erinnerungen nicht mehr sehr deutlich sind. Die Schulzeit. – Was war das letzte Wort? Sectum…?“
„Sectumsempra“, wiederholte Draco richtig, doch was das bedeutete, konnte er nicht sagen.
Blucas schüttelte den Kopf. „Das scheint mir wie eine Art Fantasiewort. Eine willkürliche Aneinanderreihung von Buchstaben. Gibberisch.“
„Nein“, widersprach Harry, der wusste, dass mit Gibberisch die reine Artikulation ohne jegliche Aussage gemeint war. Das hatte ihm Hermine erklärt, als Rose mit dem Reden angefangen hatte, das anfangs, wie bei Kleinkindern üblich, ein unverständliches Brabbeln war. „Sectumsempra ist ein Zauberspruch. Den hat eben erwähnter Zaubertränkelehrer erfunden. Ich kenne den Spruch auch.“
Blucas war sichtlich angetan. „Wie gut, dass Sie hier sind, Mr. Potter, sonst hätte ich womöglich falsche Rückschlüsse gezogen!“ Blucas erhob sich von seinem Stuhl, den er zurück an den Tisch stellte, an dem Harry saß. „Wir machen morgen weiter, Mr. Malfoy. Jetzt genießen Sie erst einmal Ihren Besuch. Auf Wiedersehen!“

Harry schaute dem Heiler, den er um die vierzig Jahre alt schätzte, noch hinterher, bis der die Tür zum Krankenzimmer von außen schloss. Als er zu Draco blickte, wurde er sich darüber bewusst, dass der ihn die ganze Zeit mit seinem grauen Auge beobachtet hatte. Diesmal räusperte sich Harry, aber aus Verlegenheit. Ein Gesprächsthema musste her. Irgendetwas Einfaches, aber interessant genug, um für wenigstens fünf Minuten die Zeit totzuschlagen.

„Und? Wie ist das Essen hier so?“ Klasse, dachte sich Harry. Oberflächlicher ging es kaum noch.
„Es ist püriert.“
„Oh …“ Mit beiden Händen schlug sich Harry einmal auf die Oberschenkel. Nervös rieb er seine Handflächen an der Hose, bevor er aufstand und seinen Stuhl zu Draco ans Bett zog. Der ehemalige Slytherin ließ ihn keine Sekunde aus den Augen. Der Blick war nicht bösartig, eher neugierig und ein kleines bisschen misstrauisch. Als Harry bei ihm saß, fragte er: „Was hast du in Saudi-Arabien gemacht?“
Draco wollte die Stirn runzeln, stöhnte dann aber, weil es Schmerzen verursachte. „Wieso Saudi-Arabien?“
„Da hattest du den Unfall!“, half Harry ihm auf die Sprünge.
„Ich kann mich nicht an einen Unfall erinnern, das habe ich schon den Heilern gesagt.“
Harry presste die Lippen zusammen, bevor er sagte: „Hoffentlich kannst du dich bald wieder daran erinnern. Ich hätte da nämlich ein paar Fragen.“
„Was denn für Fragen?“
„Zum Beispiel, was passiert ist und ob es ein Unfall war oder nicht. An was kannst du dich denn noch erinnern?“
Wie in Zeitlupe schüttelte Draco den Kopf. „Ich weiß nicht. Das sind nur Erinnerungsfetzen. In meinem Kopf ist alles durcheinander.“
„Sag mir abrupt, was für Erinnerungen dir einfallen.“
„Okay … Ich erinnere mich an einen Troll in dunklen Gängen. Und an so einen scheiß Hippogreif, der mich am Arm verletzt hat. Einige Erinnerungen habe ich an einen Zug.“
„Der Hogwarts-Express vielleicht.“ Weil Draco nichts dazu sagte, erklärte Harry: „Mit dem sind wir jedes Jahr zum Internat gefahren.“
„Aha“, machte Draco unbeeindruckt, denn den Zug konnte er offensichtlich nicht genau zuordnen. Er räusperte sich einige Male und streckte sich dann nach einer Flasche, die auf dem Nachttisch stand, doch Draco kam nicht ran.
„Sag doch einen Ton!“, hielt Harry ihm vor. Er stand auf und reichte Draco die Flasche.
„Danke, das ist für meine Stimme. Ist aber schon besser als gestern.“ Draco nahm einen Schluck aus der Flasche und reichte sie danach wieder Harry, der diese zurück auf den Nachtisch stellte.
„Ich …“ Draco schluckte nochmals und schaute gedankenverloren in die Gegend. „Ich erinnere mich auch an eine Menge Tumult. An Schreie … Und an einen seltsamem Mann ohne Nase.“

Nicht einmal an Voldemort konnte er sich wirklich deutlich erinnern. Das zeigte Harry, wie ernst Dracos Gedächtnisverlust sein musste.

„Bei dir ist wirklich alles durcheinander“, bestätigte Harry. „Denk bloß nicht zu viel drüber nach. Ich denke, Ruhe ist im Augenblick das …“
„Ist es nicht!“, unterbrach Draco missgelaunt. Er klang verzweifelt. „Hast du eine Ahnung, wie das ist, wenn man nicht sagen kann, wie man heißt oder was man für einen Beruf ausübt – wenn ich überhaupt einen Beruf habe.“ Draco atmete tief durch. „Meine Eltern haben sich hier im Krankenhaus gemeldet. Sie wollen mich nächste Woche besuchen.“
„Das ist doch schön!“
„Ist es nicht! Ich kenne sie nicht einmal! Keine Ahnung, wie sie aussehen.“
Harry stutzte. „Weiß der Heiler davon? Ich meine, dass du dich nicht an deine Eltern erinnern kannst.“
Draco nickte. „Ich kann mich auch nicht an dich erinnern. Es tut mir leid!“
„Das …“ Harry winkte ab. „Ich nehme das nicht persönlich. Wirklich nicht.“ Zumindest hatte er jetzt die Erklärung dafür, warum Draco ihn nicht abwertend behandelte oder gar rausschmiss. „Das wird schon noch wiederkommen. Wenn die Genesung voranschreitet, wird auch die Erinnerung zurückkommen.“
„Kommst du am Dienstag zum Mittag her?“, bat Draco völlig unerwartet.
„Ich kann das bestimmt einrichten, klar. Ist da was Besonderes?“
„Meine Eltern besuchen mich.“
„Oha …“
„Was?“
Harry massierte sich mit einer Hand verlegen den Nacken, als er erklärte: „Deine Eltern halten nicht besonders viel von mir.“
„Aber sie kennen dich?“, wollte Draco wissen.
„Ja, nur zu gut.“
„Dann sei bitte hier, ja? Als seelische Unterstützung sozusagen.“

Die Bitte war so ehrlich vorgetragen, dass Harry nicht anders konnte, als für Dienstag zuzusagen. Eine Stunde lang blieb Harry noch. Es war schwer, sich mit jemandem zu unterhalten, der nicht mal mehr wusste, mit was er seine Brötchen verdiente. Ron hatte Harry jedoch einiges an Informationen gegeben. Draco wäre ein recht bekannter Zaubertränkemeister in Frankreich. Als Draco das hörte, konnte er es kaum glauben. So verbrachten die beiden jungen Männer damit, sich gegenseitig Fragen zu stellen und Antworten zu geben.

In Harrys Augen war Draco keine völlig andere Person. Es gab gewisse ‚malfoysche Eigenarten‘, die Harry wiedererkannte. Das war zum Beispiel das schnippische Gehabe, wenn Draco irgendetwas besser zu wissen glaubte. Vom Charakter her war er derselbe, nur ohne jede Erinnerung an die Feindseligkeiten von damals. Für Harry war es eine noch nie da gewesene und zudem angenehme Erfahrung, Draco auf diese Weise neu kennenlernen zu dürfen. Harry musste zugeben, dass sie sich recht gut verstanden. Manche Interessen waren gleich, wie zum Beispiel Quidditch. Vielleicht wäre es genau so abgelaufen, wenn Harry vom Sprechenden Hut doch nach Slytherin gesteckt worden wäre. Die zwei hätten Freunde werden können. Hätte, wäre, könnte …

„Ich werde jetzt gehen. Mein Patensohn wartet sicher auf mich.“
„Du hast einen Patensohn?“, fragte Draco interessiert. „Wie alt ist er? Wie ist sein Name?“
„Damit hast du schon drei Fragen gestellt, die ich dir morgen gern beantworten werde“, erwiderte Harry mit einem Lächeln auf den Lippen.
„Bringst du mir morgen was mit?“
„Was soll’s denn sein?“ Harry wollte so gelassen wie nur möglich bleiben, als Dracos Zunge herausschoss und er seine rosafarbenen Lippen befeuchtete.
„Ich habe irgendwie Appetit auf Pflaumenmus bekommen. Kannst du mir welchen mitbringen?“
„Ist notiert. Sonst noch ein Wunsch?“ Weil Draco den Kopf schüttelte, hob Harry eine Hand zum Abschied. „Bis morgen.“
„Bis morgen.“

Auf dem Weg zu Bill und Fleur war Harry in Gedanken versunken. Harry hörte Schritte hinter sich, aber er dachte sich nichts dabei. Erst als jemand seine leichte Sommerjacke ergriff und ihn mit voller Wucht gegen die Wand eines Hauses schleuderte, wusste er, dass es um Leben und Tod ging. Sein Schädel schlug heftig gegen den Stein. Die runde Brille fiel zu Boden. Harrys Kopf tat weh und für einen Moment konnte er nicht mehr klar denken. Er fühlte, wie er mit seiner Vorderseite an die Wand gedrückt wurde. Als er benommen nach seinem Stab greifen wollte, berührte er ein paar Hände, die seine Jackentaschen, die Achseln und die Hosentaschen befühlten. Eine Hand verirrte sich plötzlich an seinen Schritt. Genug war genug. Diesen Augenblick nutzte Harry für einen Gegenangriff. Mit einem Fuß trat er so heftig wie möglich auf den Fuß des Angreifers, der hinter ihm stand. Der Schrei erbrachte den Nachweis, dass Harry gut getroffen hatte. In null Komma nichts rammte er der wimmernden Gestalt seinen Ellenbogen in die Rippen. Im Anschluss gab es einen Bonus-Tritt in die Eier. Die Person taumelte. Harry hatte seinen Stab längst gezogen, doch er konnte ohne Brille nicht sehr gut sehen, außerdem dämmerte es bereits. Es entging Harry, dass die Person die Bewegung ausübte, die zum Apparieren notwendig war. Gerade, als Harry den Fesselspruch Incarcerus wortlos anwandte, hörte er nur noch ein lautes Krachen. Weg war der Täter. Das Schlimmste war jedoch, dass er nicht einmal das Gesicht der Person gesehen hatte.

„Verfluchter Scheißdreck … Verdammt!“ Das Fluchen half nicht. Harry fühlte sich, was schon lang nicht mehr passiert war, als Versager. Jemand hatte etwas bei ihm gesucht, aber nicht gefunden. Irgendwie war sich Harry sicher, dass der begehrte Gegenstand jener war, der zurzeit von TaLyBa abgeschmeckt wurde. Ab jetzt würde sich Harry jede Sekunde das Motto von Alastor Moody zu Herzen nehmen.

„Immer wachsam!“


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Dan ist wirklich gut. Mit ihm zu arbeiten war wunderbar. Armer Junge, er musste so geduldig sein. Ich musste schwafeln und darüber sprechen, dass ich der Meister des Universums bin, dass ich böse bin und dass ich ihn umbringen werde und er musste verschnürt dastehen, sich krümmen und vor Schmerzen stöhnen, während ich einen Monolog führte. Der Monolog des bösen Genies - kein Film ist komplett, wenn er fehlt. Ich liebe es, böse Figuren zu spielen!
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