von marie29
"Sieh ihn dir an! Erbärmlich, nicht wahr? Flennt wie ein altes Weib!" Da war noch jemand, dort im Schatten. Draco! Das Schuldgefühl, dass in ihm aufstieg, traf Severus völlig unerwartet. Hatte der Junge ihn wirklich geliebt? Jetzt stand er dort hinten, fast nicht zu erkennen, zeigte keinerlei Regung. "Ist es soweit?" Dracos Stimme klang so gleichgültig, als spräche er übers Wetter und der letzte Funke Hoffnung in Severus erlosch. Er wollte flehen, betteln, Draco um Verzeihung bitten, doch seine Stimme gehorchte nur Malfoy, nicht ihm.
"Schick sie runter! Sag, ihr Daddy wartet auf sie!" Seine Augen funkelten grausam. "Dann verdoppelst du die Schutzzauber, besonders sorgfältig diesmal! Ich will nicht, dass uns in den nächsten Tagen jemand stört." Wieder lächelte Lucius Severus an. "Wir werden uns lange Zeit lassen. Das willst du doch auch?" Dessen Tränen benetzten den Boden wie Regentropfen, während er nickte. Als sein Kopf endlich damit aufhörte, war Draco verschwunden.
Lange Zeit geschah nichts und wieder keimte Hoffnung in Severus auf. Malfoy sah es in seinen Augen. "Die Hoffnung stirbt zuletzt!", flüsterte er völlig ruhig. "Er macht sie zurecht, weißt du, er weiß genau, was ich will. Er ist ein so gelehriger Junge, aber immer noch viel zu weich. Schafft es einfach nicht, so grausam zu sein, wie es sich für einen Malfoy geziemt, obwohl doch er es war, der diesen genialen Plan geschmiedet hat. Doch für die Ausführung, da braucht er mich!" So abfällig klang seine Stimme, bar jeden väterlichen Gefühls, dass Severus erschauderte.
"Daddy? Daddy, wo bist du?" Sie war da!
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Ein wundervoller Traum hielt ihn gefangen. Arianas sanfte Finger strichen zärtlich über sein Gesicht. Ihre geliebte Stimme klang wie Musik in seinen Ohren. "Daddy!", rief sie immer wieder, "Daddy - bitte wach auf!" Er wollte nicht - nie mehr wollte er aufwachen. Eine raue Zunge leckte an seinen nackten Fußsohlen. Verdammtes Vieh, er war so kitzlig. Er zog seine Beine zurück und stöhnte vor Schmerz. Seltsamer Traum - so real.
Ari schluchzte jetzt. "Daddy, bitte, ich brauch dich doch, verlass mich nicht - hilf mir!" Tränen strömten unter seinen geschlossenen Lidern hervor. Er hatte ihr nicht helfen können. Sie hatte um Hilfe gefleht und er hatte versagt. Seine eigene Hand hatte sie bestialisch gequält. "Lass mich sterben! Bitte, lass mich doch sterben!" Unhörbar waren die Worte, doch Ari fühlte sie.
Ihre Lippen berührten die seinen, flüsterten liebevoll in sein Ohr. "Nein, Daddy, ich lass dich nicht gehen." Sie pustete in sein Genick, wie sie es immer tat, um ihn zum Lachen zu bringen. Er konnte nicht verhindern, dass ein eigenartiges Geräusch aus seiner Kehle drang. Eher ein Schluchzen als ein Lachen. Aber Ari jubelte. "Er kommt zu sich, Teddy. Er schafft es, er schafft es!"
Wieder war da diese Zunge, der Geruch nach nassem Hund, eine Schnauze, die ihm fauligen Atem ins Gesicht blies. Und da endlich flatterten seine Lider und er starrte dem blinden Wolf in die trüben milchigen Augen. Dieses Geschöpf hatte Ariana von ihren Qualen erlöst, sein Biss hatte ihre Seele gerettet. Er hatte Malfoys Pläne durchkreuzt und der hatte ihn dafür getötet oder nicht? Können tote Hunde sabbern? Der Speichel, der aus seinem Maul tropfte, war ekelhaft warm.
Eine zarte Hand schob den Kopf des Wolfes sanft zur Seite und Aris schwarze Augen blickten in seine. Tränen rannen über ihre Wangen, aber ihre Lippen lächelten. Ihr schönes Gesicht war völlig unversehrt. "Ari!" Seine Stimme gehorchte ihm nicht, nur ein Krächzen kam aus seiner Kehle. "Nicht Daddy - nicht sprechen! Du bist verletzt, beweg dich nicht. Er hat wie ein Wilder auf dich eingetreten ..." Sie begann zu zittern und der Wolf legte beruhigend seine Schnauze auf ihre Schultern. Sie schluchzte auf, riss sich aber sofort zusammen und streichelte vorsichtig Severus Hand. Er hatte versucht, den Arm zu heben, schaffte es aber nicht.
"Du hast starke Schmerzen, Daddy!" Sie erwartete keine Antwort, sondern hielt ihm ein gläsernes Fläschchen, zur Hälfte gefüllt mit einer purpurnen Flüssigkeit, vor die Augen. "Da steht `gegen Schmerzen´ drauf, aber es stinkt so ekelhaft, ganz anders als Mum`s Tinkturen. Riech mal!" Der Geruch, der ihm in die Nase stieg, weckte längst vergessene Erinnerungen. In den Anfängen seiner Todesser-Zeit hatte der dunkle Lord ihn beauftragt, ein Elixier zu entwickeln, das seine Anhänger im Kampf unverwundbar machen sollte. Natürlich war ihm das nicht gelungen. Das Schmerzmittel, das er während dieser Forschungen entwickelte, verheimlichte er vor Voldemort. Nur Dumbledore kannte das Rezept. Er hatte es oftmals erfolgreich bei den Mitgliedern des Phönix-Ordens eingesetzt.
Wie dieses Gebräu in Aris Hände kam, war ihm schleierhaft, doch er wusste, es würde das qualvolle Pochen in Kopf und Gliedern lindern, das ihn so sehr schwächte, ihm jegliche Kraft raubte und er nickte Ari vorsichtig zu. "Alles?" Sie zögerte kurz, bevor sie das Gefäß an seine Lippen hielt. Bereits der erste Schluck wirkte Wunder. Eine Wärme breitete sich in ihm aus, stärkte jede einzelne Zelle, umgab die gebrochenen Knochen mit einer schützenden Schicht, vertrieb den schlimmsten Schmerz. So herrlich war dieses Gefühl, dass ihm ein erleichtertes Seufzen entfuhr.
Doch sein Geist war immer noch verwirrt, immer noch sah er Ari neben sich knien. "Bist du ein Geist?", flüsterte er, "Oder ein Traum?" Wieder fuhr ihre Hand zärtlich über seine Finger und er ergriff sie, hielt sie fest. So warm, so lebendig. Ari erschauderte, drückte sich fest an den Wolf, bevor sie antwortete. "Das war nicht ich." Ihre Stimme zitterte. Unfähig weiterzusprechen, wies sie hinter Severus. Dann kauerte sie sich neben ihren grauen Begleiter, machte sich ganz klein, als wolle sie sich vor dem Grauen um sie herum verstecken.
Zögernd wandte Severus den Kopf. Das hölzerne Podest hinter ihm versperrte ihm jegliche Sicht. Wie ein greller Blitz flammte die Erinnerung in ihm auf und er wollte es Ari gleichtun, nichts mehr sehen, nichts mehr fühlen. Doch eine Macht, stärker als jede Angst, zwang ihn, sich aufzurichten, über den Kasten zu spähen.
Ein nackter Körper lag dort, die Glieder eigenartig verrenkt, die Hände zu Fäusten geballt. Ratten nagten an den blutigen Fingern. Das Gesicht, Severus zugewandt, war verdeckt von weißblonden, blutverkrusteten Strähnen. Nur die zerbissenen, unnatürlich aufgeschwollenen Lippen, auf denen immer noch das Lächeln lag, das im Augenblick des Todes ihm selbst gegolten hatte, waren deutlich zu erkennen. Die aufgerissene Kehle darunter hatte ebenfalls Ratten angelockt.
Der Anblick versetzte Severus einen derartigen Schock, dass er stöhnend zu Boden sank und die Augen fest zusammen kniff, um das grässliche Bild zu vertreiben. Doch einen Sekundenbruchteil später schossen seine Lider wieder in die Höhe, als er begriff! "Vielsafttrank!" Ari schluchzte laut auf und Severus ganzer Körper begann vor unbändiger Erleichterung zu schlottern - sie lebte! Er zog sie zu sich, presste sie an seine Brust, so fest seine schmerzenden Rippen es duldeten und murmelte immer wieder ungläubig ihren Namen.
Seine Tränen tropften auf ihr struppiges kurzes Haar, bevor die Zunge des Wolfes sie aufleckte. Plötzlich fiel ihm der Kater ein, der die Nacht zuvor seine Verzweiflung mit ihm geteilt hatte. War es möglich? Er umklammerte Aris bebenden Körper, hielt sie fest umschlungen, doch sein Blick wanderte zu dem toten Mann hinüber, der dieses schreckliche Martyrium auf sich genommen hatte, wohl wissend, welche Qualen sein Vater dem Körper des Mädchens zugedacht hatte.
Er erschauderte und presste Ari noch fester an sich. "Ich liebe dich!", waren Dracos letzte Worte gewesen. Im Angesicht des Todes hatte er gewagt, es auszusprechen, ein einziges Mal. Die Tränen, die ihm jetzt in die Augen traten, galten dem Jungen, den er damals so schändlich enttäuscht hatte. Der tiefe Hass, der wie ein bösartiges Geschwür in Draco gewachsen war, hatte die Liebe nicht gänzlich vernichten können.
Eine Welle unendlicher Dankbarkeit durchflutete Severus, ließ ihn laut aufschluchzen. Nur um Haaresbreite war Ariana den schrecklichen Grausamkeiten Lucius entronnen. Zu wissen, was ihr erspart geblieben war, machte Dracos Opfer zum wertvollsten Geschenk und doch war es dessen teuflischer Plan gewesen, der diesen Schrecken über sie gebracht hatte. Er sollte ihn hassen dafür - vielleicht später! Jetzt überwog das Glück über Aris Unversehrtheit. So sicher war er gewesen, sie für immer verloren zu haben. Ihr Körper, der sich so vertraut an seinen schmiegte, wog alles Leid auf, das Lucius ihm zugefügt hatte.
Lucius - wo war er?
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