von marie29
Unsäglich einsam fühlte der junge Mann sich plötzlich, hatte nicht die Kraft aufzustehen und ihm nach zu blicken. Wieder verlassen, wieder allein! Selbstmitleid drohte ihn zu übermannen. Wie sehr er sich selbst für diese Schwäche verabscheute. "Reiß dich zusammen!" Seine eigene Stimme, so kalt und verächtlich, dass er erschrak und wieder zu sich kam. Sein Blick fiel auf die schlafende Gestalt neben ihm.
Der Hass wallte so heftig in ihm hoch, dass er versucht war, ihr ins Gesicht zu schlagen. Womit hatte sie all die Liebe und das Glück verdient, dass ihr von allen Seiten entgegen flog? Seine Finger ballten sich zu Fäusten, erhoben sich und verwandelten sich in tonnenschweres Blei. Er schaffte es nicht. Versager! Schwächling!
Ein Schatten vorm Fenster lenkte ihn ab. Vollkommen lautlos setzten die Pfoten auf dem Holzboden auf und Draco starrte den Wolf an wie ein Gespenst. Erst die Zunge, die über seine verkrampften Finger leckte, vertrieb jeden Zweifel, er war zurückgekommen, zurück zu ihm! Unbändige Freude erfüllte Dracos Herz, alles andere verlor an Bedeutung. Das Lächeln auf seinem Gesicht fühlte sich fremd an und war doch ehrlich und echt. Er hätte jubeln mögen, wie das Mädchen am Fluss, so frei und leicht fühlte er sich plötzlich. Nichts anderes wollte er, als dieses Gefühl genießen. Und so blieb er sitzen, vergaß, weshalb er gekommen war, seine Hände streichelten das struppige Fell und Draco war glücklich.
Marie dankte im Stillen den beiden Geistern, die sich den Körper des Tieres so einvernehmlich teilten. Ganz genau erkannte ihr Instinkt das Bedürfnis des Mannes nach Freundschaft und Wärme, nutzte es schamlos aus, um Ari zu schützen oder erging es dem Wolf wie ihr selbst? Hatte Draco sich auch in sein Herz geschlichen, war er dabei, diesen Menschen zu mögen, trotz aller Schuld, die der auf sich geladen hatte? Es war zwecklos, das Mitgefühl noch länger zu leugnen, das sich still und heimlich in ihr eingenistet hatte, je näher sie ihrem Feind gekommen war.
Ja, sie fühlte mit ihm, verstand ihn nur zu gut. Seine Liebe zu Severus war beinahe so mächtig wie ihre eigene, auch wenn er sie mit aller Gewalt, deren sein Geist fähig war, verdrängte, in Hass verwandelte, zu töten versuchte.
Dracos Erschrecken riss sie aus ihren Grübeleien. Etwas war geschehen! Severus war da, Lucius Worte drangen durch das offene Fenster. "Wie nett von dir mich zu besuchen, alter Freund!" Wie von unsichtbaren Fäden gezogen, erhob sich Draco, trat ans Fenster, lauschte. Severus angsterfüllte Stimme: "Was hast du mit meiner Tochter gemacht?" So fremd klang sie, völlig anders als damals und doch zugleich so vertraut. Er musste ihn sehen, sofort! Sich an seiner Panik erfreuen, seine Rache genießen. Endlich war es soweit!
Er versiegelte den Raum erneut, keine Geräusch, kein Lichtstrahl drang von draußen hinein. Die kleine Flamme tanzte noch immer an der Decke, sie sollte bleiben. Ein letztes Mal strich er dem Wolf übers Fell. "Bis später, mein Freund!" Die Aufregung ließ seine Stimme zittern. Er eilte nach draußen, verwandelte sich und spähte neugierig durch die Kellerluke. Seine Katzenaugen vermochten die Dunkelheit mühelos zu durchdringen, sahen überdeutlich das verhasste Gesicht, weideten sich an der grauenvollen Furcht, die Lucius Worte in ihm hervorgerufen hatten.
Er sprang lautlos hinab, schnappte sich eine der Ratten und versteckte sich dann auf dem Regal und beobachtete Snapes Qual. Ein Heulen, verdammt! Er hatte den Zauber vergessen, der die Geräusche im Raum hielt. Egal, sollte Snape nur die Stimme seiner Tochter hören. Doch alles blieb still, auch der Wolf verstummte abrupt, aber der Mann dort unten schrie weiter, immer wieder den Namen des Mädchens, bis nur noch ein Krächzen aus seiner Kehle kam und Lucius Zauber auch dem ein Ende bereitete.
Er konnte den Triumph seines Vaters beinahe körperlich spüren. Wie sehr der alte Mann es genoss, Snape so zu sehen. Völlig hilflos, ihm auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Auch er selbst war wie im Rausch. Der Anblick der starren Körpers brachte seine Fantasie zum Kochen. Was könnte er alles mit ihm tun. "Zieh dich aus, ganz langsam!", hörte er seine eigene Stimme im Kopf des Katers und Maries Hass loderte hoch wie eine fast erloschene Glut, die ein plötzlicher Luftzug aufs Neue entfacht.
Alle Sympathie war fortgewischt. Wie hatte sie diesen Verbrecher bedauern können? Er war ebenso schlimm wie sein Vater, vielleicht noch gefährlicher durch seine zwiespältigen Gefühle, die so rasant wechselten, dass Maries Geist es kaum zu begreifen vermochte. Lucius Stimme, laut und voller Wut jetzt: "hast nicht gewusst, wie sehr mein Sohn und meine Frau dich, ja dich, nicht mich - geliebt haben? Crucio!"
Jeder Regung in Draco erstarb, nur zwei Worte bohrten sich wie kalter Stahl in sein Herz. Nicht gewusst! Er hatte es nicht gewusst! Er starrte auf den sich unter grauenvollem Schmerz windenden Körper und begriff, es war die Wahrheit. Das Scheppern der Büchsen erschreckte ihn selbst mehr als Lucius. Er hatte nicht bemerkt, wie seine Pfote sie hinunter stießen. Nicht gewusst! Nichts anderes existierte mehr in seinem Geist. Er achtete nicht mehr darauf, was dort unten geschah, vergrub den flauschigen Kopf in den Pfoten und seine Erinnerungen wanderten 17 Jahre zurück.
Zurück zu der Nacht, als er so jämmerlich versagte, es nicht über sich brachte, den alten wehrlosen Mann zu töten. Snape zögerte nur eine Sekunde, packte dann seine Hand und zog ihn mit sich, hinunter vom Turm, durchs Schloss, hinaus in den Wald. Erst als Potters Stimme erklang, ließ er ihn los. "Geh mit ihnen!" Seine Stimme zitterte, in den schwarzen Augen schwammen Tränen und Draco war sicher, sie galten ihm. Snape hatte Angst um ihn, Angst vor Voldemorts Zorn und er hätte jubeln wollen vor Glück.
Dann hatte Snape sich zu Harry umgewandt, war dessen Flüchen ausgewichen und Dracos Geist schrie hinter ihm her, so laut er konnte: "Ich liebe dich!" Snape strauchelte, einen Moment glaubte Draco, er würde fallen, aber er hatte sich sofort wieder in der Gewalt, blickte nicht zurück und doch war Draco all die Jahre überzeugt gewesen, er hätte diese Worte gefühlt, hätte noch Jahre später insgeheim über den dummen Jungen gelacht, der so leicht zu täuschen war.
Dieser Gedanke war es gewesen, der Snapes Verhalten so unerträglich für ihn machte. Das Beste, was je in ihm gewachsen war, verspottet zu wissen, verhöhnt und mit Füßen getreten. Und endlich verstand Marie zur Gänze, warum es Severus war, den er so sehr hasste, nicht sie oder die Kinder. Sie fühlte die gewaltige Erschütterung mit der Dracos Welt zerbrach. Er hatte es nicht gewusst!
Stunden verstrichen, bis der Kater wieder fähig war, etwas anderes zu denken, als diese Worte. Langsam öffnete er die Augen. Dunkel war es und still, Lucius war fort. Snape lehnte an der Wand, schien zu träumen. Sein Körper zuckte unkontrolliert. Vorsichtig schlich Draco sich näher, betrachtete das vertraute Gesicht. Die geschlossenen Augen bewegten sich, schienen vor den schrecklichen Bildern, die sein Geist ihm vorgaukelte, flüchten zu wollen.
Ein eigenartiger Geruch lag in der Luft. Männlicher Angstschweiß vermischt mit Urin. Nicht abstoßend für die Nase des Katers, im Gegenteil! So sehr war er von dem Duft fasziniert, dass er fast zu spät bemerkte, wie der Mann vor ihm mit einem panischen Aufschrei erwachte. Beinahe hätte die zupackende Hand seinen Schwanz umklammert, doch Draco war schnell. Flog fast über die Treppe nach oben, hastete ins Labor, bevor er sich verwandelte und keuchend nach Atem rang.
Wieder die Worte in seinem Kopf. Nicht gewusst! Er, der weltbeste Legellimentiker, hatte nichts von seinen Gefühlen gewusst, hatte sich so wenig für seinen Schützling interessiert, wollte nur seinen Schwur erfüllen? Mit aller Macht kam der Hass zurück, der brennende Wunsch, in dieses betrügerische Gesicht zu schlagen. Er wollte ihn schreien hören, flehen, betteln.
Das Mädchen! Ja, sein Plan war genial, würde ihm all das verschaffen, wonach er sich zu sehnen glaubte. Alles würde Snape tun, um ihr Leben zu schützen und er würde zusehen, wie sein Vater gekonnt sein grausames Spiel mit ihm trieb. Er konnte seine aufwallende Erregung kaum unterdrücken, nicht jetzt! Er griff nach den Schlaftropfen und grinste. Zeit fürs Abendessen!
Marie begleitete Draco zurück durch Aris Leben. Fühlte die Wärme und Geborgenheit, die ihre Tochter stets empfand, wenn ihr Vater bei ihr war, sie sich an seine Brust kuschelte und seiner Stimme lauschte, die ihr die unglaublichsten Geschichten erzählte, auch als sie schon viel zu alt war, um noch daran zu glauben. Wundervolle Abende waren das gewesen! Sie alle fünf gemeinsam im Nest, die beiden großen links und rechts neben ihnen und Katie in der Mitte. Wie unbeschreiblich glücklich war ihr Leben gewesen!
Wieder fühlte sie deutlich Dracos tiefe Sehnsucht, den verzweifelten Wunsch, dazuzugehören und gleich darauf die heftige Wut. So zerrissen war dieser Mann, pendelte hin und her zwischen Liebe und Hass. Und doch hatte am Ende die Liebe gesiegt. Marie ließ die Erinnerungen schneller an sich vorbeiziehen, hielt erst wieder inne an dem Morgen, an dem Draco als Kater an Severus geschmiegt, beschloss, sich zu opfern und Ari vor Lucius Folter zu bewahren.
Er schlich lautlos zurück ins Labor, traf die nötigen Vorbereitungen und schluckte die Stärkungstropfen, um seine grauenvolle Angst zu vertreiben. verbarg Vielsaft- und Schmerztrank in seinem Umhang und wartete ab, bis sein Vater ihn rief. Die Tränen, die ihm unaufhörlich aus den Augen strömten, bemerkte er kaum. Er würde sterben! Den Tod scheute er nicht, nur vor den Schmerzen, da hatte er Angst und doch musste er Lucius dazu bringen, den Cruciatusfluch anzuwenden, nur so konnte sein Plan gelingen.
Der Wolf würde tun, was getan werden musste, daran hatte Draco keinen Zweifel. Seine Hypnose war mächtig, das Tier hatte keine Wahl. Wenn er tot war, würden die Schutzzauber im Laufe des Tages ihre Wirkung verlieren, nicht zu früh, damit Snape genug Zeit blieb, das ganze Ausmaß seines Opfers deutlich zu erkennen. Dann konnten die anderen kommen. Er wusste, sie warteten nur auf das Zeichen. Sollten sie seinen Vater nur zurückbringen in dieses grauenvolle Loch, er hatte es nicht besser verdient, er selbst würde es nicht mehr erleben.
Ja, auch dieser Plan war gut durchdacht, ohne Fehler. Was mit Snape und dem Mädchen geschah, lag nicht mehr in seiner Hand. Der Gedanke, Lucius zu hintergehen, war verlockend. Was sein Vater wohl empfinden würde, wenn er begriff, dass sein von ihm so verabscheuter Sohn es gewagt hatte, ihn zu betrügen? Fast hätte er laut aufgelacht, bei dieser Vorstellung.
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